Ein Supermarkt der Ideen

Revolutionäre, freie Radikale, Gewerkschafter: Beim zweiten „Europäischen Sozialforum“ sind alle Spielarten von Globalisierungskritikern willkommen

von DOROTHEA HAHN
und KATHARINA KOUFEN

Sie hassten und liebten sich schon im Vorfeld: Arbeiter und Intellektuelle, linke Parteien und Religiöse, Funktionäre und Spontis. Und doch gelang es den Veranstaltern des Europäischen Sozialforums (ESF) gerade noch rechtzeitig, sich auf ein gemeinsames Programm zu einigen. Das Mammuttreffen kann heute also beginnen.

Inhaltlich ist das Sozialforum nun ein Supermarkt, der das breitestmögliche Publikum anspricht: Sowohl jene, die eine grundsätzlich andere Gesellschaft wollen und zur Revolution bereit sind, als auch jene, die sich mit ein bisschen weniger Pestiziden auf den Salatblättern zufrieden geben. Von heute Abend an können sie sich alle dreieinhalb Tage lang intensiv miteinander austauschen. Als Rahmen dazu bietet das ESF 400 Werkstätten, Vollversammlungen und Seminare – und am Samstag eine gemeinsame Demonstration in Paris. Die Veranstaltung verteilt sich auf vier Kommunen in der Stadtregion Île de France: Bobigny, Ivry, Paris und Saint Denis. Rund 50.000 Menschen werden erwartet.

Die diffuse Bewegung der Globalisierungskritiker und -Kritikerinnen ist inzwischen begehrt: Sämtliche linken französischen Parteien haben in den letzten Tagen die Hand in ihre Richtung ausgestreckt. Die sozialdemokratische PS kreierte ein neues Amt an der Parteispitze, dessen Inhaber sich ausschließlich mit Fragen der Globalisierung befasst. Die Kommunistische Partei versammelte sich mit 20 europäischen Schwesterparteien, die gemeinsam ihren Wunsch nach „intensiverem Austausch mit den sozialen Bewegungen“ kundtaten. Französische Trotzkisten, die Grünen und die Linksnationalisten zeigten ihrerseits Gesprächsbereitschaft.

Während der dreieinhalb ESF-Tage dürfen die Parteien allerdings nicht mitmachen. Offiziell sind die Veranstaltungen – mit zwei Ausnahmen – nur für so genannte unabhängige Organisationen offen. Die Parteien haben stattdessen die SprecherInnen ihrer Think-Tanks und Stiftungen ins Rennen geschickt, sowie der ihnen nahe stehenden Umwelt-, Menschenrechts- und anderen Organisationen. Stellenweise führte das Parteienverbot bereits im Vorfeld des ESF zu Kuriosa. So behauptete die Nachwuchsorganisation der französischen Sozialdemokraten, „Mouvement des Jeunes Socialistes“, steif und fest, sie sei nicht politisch, sondern eine „Jugendorganisation“.

Ein bisschen früher als die Globalisierungskritiker sind schon gestern im Pariser Rathaus die Spitzen der europäischen Gewerkschaftsbewegung zusammengetreten. An ihrem zweitägigen Treffen, das unter anderem über eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Globalisierungskritikern berät, beteiligen sich fast alle Gewerkschaften. Einige von ihnen – darunter zahlreiche deutsche GewerkschaftsfunktionärInnen – werden auch beim ESF selbst dabei sein. Die französische Gewerkschaft CFDT dagegen verweigert die Teilnahme, weil sie die Globalisierungskritiker als „zu wenig kompromissbereit“ empfindet.

Aus Deutschland werden 5.000 Teilnehmer erwartet, darunter einige hundert Mitglieder des globalisierungskritischen Bündnisses Attac.

www.attac.de/esf2003