Entlohnung im Minutentakt

Call-Center verspricht Mitarbeitern überdurchschnittlichen Stundenlohn, zahlt dann aber nur für reine Telefonzeit. Das reduziert den Verdienst deutlich. Ver.di: Beschwerden über die Branche nehmen zu

von RICHARD ROTHER

Die Methoden, Call-Center-Beschäftigten die Löhne zu kürzen, werden immer raffinierter. Bei Karlheinz Gerhold, Ver.di-Experte für Call-Center, gehen fast täglich Anfragen und Beschwerden über die Arbeitsbedingungen in der Branche ein. „Das hat in letzter Zeit eindeutig zugenommen.“ Gängiger Trick: Arbeitslose, Rentner und Studenten anzuwerben und erst einmal für sich arbeiten zu lassen. „Die Leute werden mit Arbeitsverträgen hingehalten, müssen ihren Löhnen hinterherlaufen.“ Oder sie verlassen das Call-Center nach zwei, drei Tagen frustriert ohne Lohn, wie ein Student berichtet.

Etwas anders ist der Fall bei der Firma T&T Remcon Telesales gelagert, die seit Mai im Quartier 207 an der Friedrichstraße residiert. Am elektronischen schwarzen Brett der Technischen Fachhochschule wird bereits vor der Firma gewarnt – „Bauernfang“ lautet der Vorwurf. Sie versprach zwar 10 Euro Stundenlohn – weit über Branchendurchschnitt –, war in der Definition einer Arbeitsstunde aber sehr kreativ.

Karl Fohlmann (Name geändert), der sich als ein „alter Vertriebshase“ beschreibt, heuerte Anfang September bei dem Call-Center an, das nach Angaben auf seiner Internetseite 300 Mitarbeiter beschäftigt. Den Tipp für den Job hatte er vom Informationsdienst des Arbeitsamts. Zuzüglich zum Stundenlohn seien ihm Erfolgsprämien versprochen worden, sagt Fohlmann. Seine Aufgabe: Lose einer Lotterie telefonisch zu verkaufen. „Dafür braucht man richtig gute Leute“, weiß Fohlmann. Klar sei auch, dass nicht jeder dafür geeignet sei: „Da muss man aussortieren können.“ Was er nicht ahnte: Die Firma arbeitet „mit Taschenspielertricks“, wie er sagt. Mehrfach habe er eine detaillierte Abrechnung verlangt, sei aber immer wieder vertröstet worden. Erst nach drei Wochen habe er seinen Vertrag gesehen.

In Verträgen steckt der Teufel oft im Detail. Der Arbeitnehmer erhalte einen Stundenlohn von 10 Euro brutto, „die Abrechnung erfolgt auf Minutenbasis gemäß der geleisteten und reportierten Telefongesprächsaktivität des Mitarbeiters“, heißt es in einem Arbeitsvertrag der Firma, der der taz vorliegt.

Die entlohnte Arbeitszeit sei nicht die seiner Anwesenheit gewesen, erklärt Fohlmann, sondern nur die, in der er tatsächlich mit potenziellen Kunden telefoniert habe. Eine 5-Stunden-Schicht sei für ihn so im Schnitt auf 2 bis 3 bezahlte Stunden zusammengeschmolzen.

Sogar die im Internet versprochene „Erfolgsprämie“ ist nicht immer sicher. „Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind sich darüber einig, dass die Prämie eine freiwillige Leitsung des Arbeitgebers ist“, heißt es in dem Arbeitsvertrag. Für Fohlmann ist klar: „Die Leute werden veralbert und verheizt.“ Die Belegschaft habe ständig gewechselt.

Ver.di-Experte Gerhold empfiehlt für solche Fälle einen Arbeitsrechtler. „Das wäre mal eine Klage wert.“ Das Ganze könnte schließlich sittenwidrig sein.

T&T Remcon lehnte eine Stellungnahme ab. Ein schriftliche Anfrage der taz wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass mit den gestellten Fragen kein Bildnis angestrebt werde, „welches unserem Unternehmen zuträglich wäre oder tatsächliche Verhältnisse beschreibt“.

Rund 130 Call-Center mit 8.800 Beschäftigten gibt es nach Angaben der Wirtschaftsförderung in Berlin – Tendenz steigend. Als Standortvorteil würden die Infrastruktur, Personalverfügbarkeit und günstige Kostenstrukturen genannt.

Fohlmann ist mittlerweile bei T&T Remcon ausgestiegen: „Auf den Lohn warte ich noch heute.“