Der Kracher

von ROBERT MISIK

„Die Hauptsache ist, plump denken lernen. Plumpes Denken, das ist das Denken der Großen, meinte Brecht …“ Walter Benjamin

Oh yeah, here he comes! Der berühmteste Linke der Welt! Der unterhaltsamste Klassenkämpfer dieses Globus! Der Entertainer unter den Sozialkritikern! Welcome Mike! Der Mann, der mit Pointen auf George W. Bush schießt. Michael Moore, Amerikas dickste Smart Weapon. Happiness is a warm gun! Sonntag in Berlin, Montag in Hamburg. Köln, München, Wien. Lachen für den Frieden, Witzeln für den Regime Change in Washington.

Moore ist der Großmeister und der reine Typus eines längst erstaunlichen Trends: der Verwandlung von Kritik in Pop. Sage keiner, das sei ein altbekanntes Phänomen. Strickpullover und Birkenstocksandalen schon vergessen? Und plötzlich werden Sozialkritiker zu Stars, ist Naomi Klein mit ihrer Markenkritik so erfolgreich, dass sie sich selbst in einen Markenartikel verwandelt.

Der liebste Amerikaner

Trotzdem ist Michael Moore einzigartig – die Celebrity unter den Protest-Celebrities. Er ist, wie die Weltwoche so schön schrieb, „unser liebster Amerikaner“ – weil er nicht nur der hiesigen Amerikakritik die Stichwörter gibt, sondern selbst in einem so eminenten Sinn amerikanisch ist. Moore, der Einzelkämpfer. Moore, die Stimme der schweigenden Mehrheit, eine Art Dissident, dem sie das Mikro abdrehen, wenn er bei der Oscar-Verleihung sein „Shame on you, Mr. Bush“ ausstoßen will. ER gegen SIE. Da vergisst man fast, dass SIE IHM vorher den Oscar verliehen haben, dass Moore mit seinen Büchern seit fast einem Jahr an der Spitze der Bestsellerlisten liegt, dass „Bowling for Columbine“ der erfolgreichste Dokumentarfilm aller Zeiten ist. „The people’s filmemaker“, „Filmemacher des Volkes“, hat ihn der britische Guardian genannt.

Es ist etwas Erstaunliches, aber auch etwas Verstörendes um Moore. Das beginnt bei der Frage, was Moore denn eigentlich genau ist. Ein ernst zu nehmender Kritiker? Oder ein Komödiant? Seine Bücher sind gespickt mit Zahlen und Statistiken, seine Filme sind Dokumentationen, also Nonfiction – voller Behauptungen aus der Welt der Fakten. Doch erwischt man ihn bei Ungenauigkeiten oder etwas freihändigem Umgang mit Tatsachen, dann erwidert er: „Wie kann es Ungenauigkeit in Comedy geben?“

Irritierend ist auch das Verhältnis von Volk und seinem Lautsprecher in Moores Selbstdarstellung: „Dutzende Millionen amerikanische Bürger denken so wie ich.“ Moore spielt den Verkünder der bissigen Wahrheiten, die ohne ihn ungesagt blieben. Zwar versieht er seine Auftritte immer mit Aufrufen wie: „Es wird Zeit, dass ihr eure Ärsche hochbekommt.“ Aber das Setting ist doch von der Art, dass Moore der Star ist, der bitterböse Bücher schreibt und Filme macht – und die Massen, anstatt zu revoltieren, sich Kinokarten kaufen. Chronische Nörgler meinen, dass der Mann, der mit Kamera, Mikrofon und Baseballmütze als Retter der Unterklassen daherkommt, selbst eher ein Symptom der Krise der Linken ist, weil er der paradigmatische Linke in der Sound-Bite-Society ist. Das ist natürlich ein bisschen humorlos.

Schließlich schafft es Moore, und das ist vielleicht das Erstaunlichste, abgedrehten Witz mit einer sehr plumpen linken Weltsicht zu verbinden. Denn politisch ist Moore, wie die Briten sagen würden, „very old labour“, eine kautzige Mischung aus Sahra Wagenknecht und Christoph Schlingensief. Moore meint, dass die anständigen Armen arm sind, weil die Reichen gerissen und böse sind, und will, dass amerikanische Sportschuhe von Amerikanern in amerikanischen Städten wie Vermont oder Flint produziert werden und nicht in Sweatshops in Indonesien. Zieseliertere Kapitalismuskritik darf man von ihm nicht erwarten. Aber auch wenn die Dinge oft komplizierter sind als sie bei Moore scheinen, kann man seine Interventionen doch erfrischend schroff finden.

Und sich zerkugeln, etwa wenn er sich in einem seiner Streifen („The Big One“, 1997) mokiert, dass „United States of America“ doch ein reichlich dröger Name für das mächtigste Land der Welt ist, während etwa eine kleine Insel das Wort „Great“ im Namen führt – Great Britain; und vorschlägt, man solle Amerika einfach in „The Big One“ umbenennen und als Hymne auch gleich „We will rock you“ wählen.

Moore beherrscht die Kunst, blöd zu fragen. Ein Kapitel in seinem neuen Buch „Dude, where is my country“ – heute erscheint es unter dem Titel „Volle Deckung, Mr. Bush“ auf Deutsch – beginnt so: „Was ist die schlimmste Präsidentenlüge? – ‚Ich hatte keine sexuellen Verhältnisse mit dieser Frau, Miss Lewinsky.‘ Oder … ‚Er hat Massenvernichtungswaffen – die tödlichsten Waffen der Welt –, die eine direkte Bedrohung für die Vereinigten Staaten, unsere Bürger, unsere Freunde und unsere Alliierten darstellen.‘ – Eine dieser Lügen brachte einem Präsidenten ein Impeachmentverfahren ein.“

Der dicke hässliche Boy

Natürlich betreibt Michael Moore Komplexitätsreduktion, stellt abenteuerliche Kausalitäten her und rührt daraus Bilder zusammen, die keine Schattentöne kennen. Tatsächlich ist das alles höchst kunstvoll arrangiert und mitnichten simpel. Einen Dokumentarfilm zu drehen über die Entindustrialisierung des mittleren Westens („The Big One“) oder über den Waffenkult und die Angstlust der Amerikaner („Bowling for Columbine“) und damit zu unterhalten, das verlangt höchste Kunstfertigkeit. „Es ist ganz schön schwierig und tricky, Leute in ein und demselben Film zum Lachen zu bringen und doch auch ein Gefühl für Tragödie und Traurigkeit aufkommen zu lassen“, so Moore.

Dass dies gelingt, ist umso erstaunlicher, als Moore von einem Amerika erzählt, das bei Gott nicht sexy ist, ein Amerika, aus dem er selbst stammt – der mittlerweile 49-jährige dicke, hässliche Boy mit dem Watschelgang, den ausgewaschenen Jeans, die irgendwo in den Kniekehlen hängen, den grässlichen Brillen und den unvermeidlichen Baseball-Caps. Moores Amerika ist identisch mit seiner Heimatstadt Flint, einem von Gott verlassenen – und auch vom größten Arbeitgeber General Motors abgeschriebenen – Flecken irgendwo im amerikanischen Westen.

„Moore ist auf eine Art aus Flint, wie Odysseus aus Ithaka war“, schrieb eine Kritikerin jüngst in einer schönen Sentenz. Und so sind seine Filme auch von einer tragischen Nostalgie durchzogen, der Erinnerung an ein Goldenes Zeitalter, von Roosevelts New Deal bis zu Johnsons Great Society, in dem die kleinen, dicken Leute noch davon träumen konnten, die „hard working people“ seien das „Salz der Erde“. Moore, Sohn einer irisch-amerikanischen Arbeiterfamilie mit starken katholischen Wurzeln, ist da auch Zeitzeuge einer untergegangenen Epoche.

Nachdem er das Studium geschmissen hatte, versuchte er sich als linker Zeitungsmacher, später als Journalist beim progressiven Traditionsblatt Mother Jones, von dem er, damals wohl schon ein Egomane, in Unfrieden schied. Als General-Motors-Manager Roger Smith in Flint – Moores geliebtem Flint! – die Autoschmiede schleifen ließ, drehte er darüber den Film „Roger & Me“ und schaffte den Durchbruch als Dokumentarfilmer. Schon damals hieß es, der Film hätte besser „Roger & ME, ME, ME!“, geheißen, so notorisch ist die Hauptperson der Filmemacher selbst. Man kann diese Art, sich ins Bild zu rücken, penetrant finden – allein, es zieht. Moore gegen das Unrecht! In der Hauptrolle: Moore. In der Nebenrolle: Das Unrecht.

Moore liebt dramatische Gesten. Auch plagt ihn keine falsche Scheu vor Kitsch. Wenn eine Frau bei einer seiner Lesungen erzählt, sie sei heute gekündigt worden und dann in Tränen ausbricht, nimmt Moore sie vor laufender Kamera in den Arm. Weinende Frauen umarmt er gerne, wie die Lehrerin in „Bowling for Columbine“, die unter Tränen erzählt, wie ein sechsjähriger Schuljunge eine Mitschülerin vor ihren Augen erschossen hat.

Michael Moore ist also: Kitschig, egomanisch; populistisch, dass es oft schmerzt; er versimpelt Dinge; und man kann es auch ein bisschen unehrlich finden, wenn einer den Rächer der Enterbten markiert und längst in New York in einem Zwei-Millionen-Dollar-Apartment mit Blick auf den Broadway wohnt.

Und doch ist Moore einfach großartig. Wenn der Kampf um die Hegemonie in allen Sphären der ideologischen Formierung der Gesellschaft ausgetragen wird, dann ist das, was Michael Moore betreibt, sozusagen Klassenkampf in Disneyworld. Der Held wird notwendigerweise ein bisschen selbst zur Mickey Mouse. Und Moore ist natürlich viel klüger, als er sich stellt. Er wagt sich weit vor auf dem Grat des Populismus und fällt doch nie hinab in den Abgrund der Unsäglichkeiten; er gibt den linken Patrioten und kriegt doch noch die Kurve, bevor er in den Chauvinismus kippt. Man muss schon ziemlich klug sein, um plump denken zu können. Michael Moore hat es darin zu großer Meisterschaft gebracht. Welcome Mike. Here he comes!