Sie weiß nicht, was sie sagt

Poesiealbumssätze statt interessierter Fragen: Kulturstaatsministerin Christina Weiss unterhielt sich Mittwochabend mit den Kunstsammlern Heinz Berggruen und Friedrich Christian Flick im Kanzleramt

Der Mann gibt nicht auf. Hartnäckig verfolgt Bundeskanzler Gerhard Schröder sein Projekt „Kultur im Kanzleramt“ und stiftete nun seine Kulturstaatsministerin zu einer neuen Veranstaltungsreihe mit dem sinnigen Titel „Es gilt das gesprochene Wort“ an. Im angemessen kleinen Kreis von vielleicht 200 geladenen Gästen moderierte Christina Weiss also am Mittwochabend im Kanzleramt ein Gespräch zwischen den Kunstsammlern Heinz Berggruen und Friedrich Christian Flick. Die Berliner Kunstszene glänzte, mit Ausnahme des Galeristen und Politgrafikers Klaus Staeck, des Vizepräsidenten der Akademie der Künste Matthias Flügge, des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Klaus-Dieter Lehmann und des Generaldirektors der Staatlichen Museen zu Berlin Peter-Klaus Schuster, durch Abwesenheit. Ihr schwante, dass die Frage „Kunst sammeln: Leidenschaft oder Verpflichtung?“ nicht weit führen würde.

Dabei entbehrte das Gespräch ja nicht der politischen Brisanz. Denn das Angebot Friedrich Christian Flicks, seine Kunstsammlung fünf Jahre lang nach Berlin auszuleihen, ist nicht unumstritten. Freilich darf der Streit nicht öffentlich ausgetragen werden. Zwar kündigten Klaus Wowereit, Peter-Klaus Schuster und Friedrich Christian Flick auf jener Pressekonferenz, auf der die „Flick-Collection im Hamburger Bahnhof“ bekannt gemacht wurde, eine rege Debatte an. Doch seither verweigern sie sich konsequent jeder öffentlichen Veranstaltung zum Thema. Es musste sich schon die Kulturstaatsministerin höchstpersönlich um den Sammler Flick bemühen, damit er sich herabließ, über seine Schätze zu sprechen, die er selbst nicht mehr überschaut. Zur weiteren Beruhigung dürfte beigetragen haben, dass Christina Weiss’ Arrangement Flicks nachbarschaftliches Gespräch mit Heinz Berggruen umstandslos fortzusetzen versprach. In Gstaad, wo beide wohnen, hatten sie einst die Idee entwickelt, dass Flick, nach dem Scheitern seiner Züricher Museumspläne, nach Berlin gehen könnte. Unangenehme Fragen waren da nicht zu befürchten.

Und dann kamen sie doch, zuhauf. Nicht als kritische, interessierte Fragen, sondern als Banalitäten im Poesiealbumston. „Wann haben Sie die letzte schlaflose Nacht wegen eines Bildes verbracht?“, fragte Weiss. Heinz Berggruen wusste darauf nichts zu sagen, und Flick hatte Glück, ihm war am Vortag ein Bruce Naumann durch die Lappen gegangen. Zu teuer, selbst für ihn. Auch die Frage „Haben Sie die Liebe zur Kunst von Anfang an gehabt?“ brachte nur die Erkenntnis, dass Flick Joseph Beuys schon in den Fünfzigerjahren an der Düsseldorfer Akademie erlebt haben wollte. Ein Ding der Unmöglichkeit, was Christina Weiss jedoch nicht davon abhielt, den Sammler mit den Worten „Sie sind ja ein Beuys-Schüler par excellence“ anzugehen. Schließlich soll Flicks Sammlung einen starken Akzent auf politisch engagierter Kunst haben. Hier wenigstens ergriff dann Flick die Chance, von sich aus auf die belastete Familiengeschichte zu sprechen zu kommen, auf seine Auseinandersetzung mit ihr, die er – zunächst unbewusst – über die Kunst gesucht habe.

Doch die Vorwärtsverteidigung nützte ihm nichts. Die Moderatorin war in ihrem verstiegenen Ton nicht zu bremsen. Noch wunderte man sich nur, wie die Frage zu verstehen sei, beide Kunstliebhaber – der aus Deutschland vertriebene jüdische Sammler und Galerist Berggruen wie der aus Gründen der Steuerersparnis in der Schweiz lebende Flick – hätten sich für Berlin entschieden, obwohl es aus beider Geschichte „nicht dringend war, die Sammlung nach Berlin zu bringen“. Bei der salbungsvollen Auslassung „Sie schließen beide in Berlin die Wunde, die die Nazizeit geschlagen hat“ hatte man freilich endlich genug. Wie bitte sollte man das verstehen? Haben die Nationalsozialisten nun auch schon die aktuelle Gegenwartskunst, die die Sammlung Flick ausmacht, verfolgt und vernichtet? Oder ist das Fehlen des Namens Flick in Berliner Einwohnerverzeichnis die Wunde, die die Sammlung jetzt heilt? Doch was soll’s, Kunst macht glücklich, gestand Friedrich Christian Flick, und Christina Weiss sekundierte mit der Bemerkung „Es wäre ein Traum von mir, wenn sich das herum spräche“. Erst einmal wird sich aber herumsprechen, dass sie nicht weiß, wovon sie redet. BRIGITTE WERNEBURG