Die Goldstraße von Panama

Nur 60 Kilometer trennen an der schmalsten Stelle Panamas den Atlantik vom Pazifik. Zu Fuß von Ozean zu Ozean, auf den Spuren der Maultiertrecks, die sich in der Kolonialzeit, schwer beladen mit Edelmetallen, durch den Urwald quälten

In der ehemaligen US-Basis übten Truppen für den Dschungelkampf

von ROLAND MOTZ

Brüllende Hitze, dösende Hunde, ein paar noch immer auf das Meer gerichtete Kanonen, die Mauerreste einer zerstörten Festungsanlage – vor allem aber Mücken. Der Karibikabschnitt westlich von Panamas zweitgrößter Stadt Colón heißt nicht umsonst Mosquito Golf. FlussnebeI hängt noch über dem Fort von San Lorenzo, als wir an der Mündung des Río Chagres ins Boot steigen. Der Fluss verengt sich, und wir schieben uns rasch gegen die geringe Strömung durch den dichten Regenwald. Wir wollen mit dem Boot bis Gamboa hinauffahren, dann zu Fuß bis Panama-Stadt laufen, von Ozean zu Ozean. Nur 60 Kilometer trennen an der schmalsten Stelle Panamas den Atlantik vom Pazifik. Mit südamerikanischen Edelmetallen schwer beladene Maultiertrecks mussten sich in der Kolonialzeit auf drei verschiedenen Goldstraßen durch den Urwald quälen. Dem zuletzt benutzten Weg sind wir gefolgt.

Erst vor hundert Jahren wurde der alte Traum von einer Schifffahrtsroute zwischen den Ozeanen langsam Wirklichkeit. Mauern führen am linken Flussufer in den Regenwald. Hinter sanften Hügeln versteckt sich das neuzeitliche Fort Sherman im Urwald. In der ehemaligen US-Militärbasis wurden bis zur Kanalübergabe Spezialtruppen für den Dschungelkampf ausgebildet. Auch viele lateinamerikanische Offiziere und spätere Diktatoren von Pinochet bis Noriega durchliefen die Trainingscamps der USA in der Kanalzone, von denen die berüchtigte School of America als Folterschule traurige Berühmtheit erlangt hat.

Uns ist heiß. Aber immerhin sind die Stechmücken verschwunden. Für die Fahrt auf dem Gatúnsee entlang der Fahrrinne des Panamakanals steigen wir vom Einbaum in ein größeres Motorboot um. Um den Kanal zu bauen, wurde der Río Chagres gestaut und damit ein künstlicher See geschaffen. Das gespeicherte Wasser wird dazu benutzt, die Schiffe in den drei Schleusen erst 26 Meter über den Meeresspiegel zu heben, um sie nach der Durchfahrt wieder auf Meeresniveau abzusenken. Der Gatúnsee hat einen Teil der alten Goldstraße, zwanzig Indianerdörfer und auch die erste transkontinentale Eisenbahn verschluckt.

Wie damals die Spanier machen wir in Gamboa Station. Auf dem ehemaligen Gelände der Kanalverwaltung ist mit dem Gamboa Rainforest Resort ein tropisches Luxushotel entstanden. „It’s yours“, hat ein abziehender GI 1999 noch schnell an den Wachturm geschrieben. Darüber streiten die Panamaer. Vertraglich steht den USA jederzeit das Recht zur erneuten Übernahme zu, sollten amerikanische Interessen bedroht sein. „Lagartos“ heißt das Restaurant unten am Fluss. Völlig zu Recht. Im Wasser gähnen Krokodile.

Mit dem Einbaum fahren wir frühmorgens den Río Chagres flussaufwärts. An einer Landzunge legen wir an. Für den Weg durch den Urwald haben wir zwei Emberá-Indianer als Führer engagiert: Noldo, den jungen Spurensucher, und Chariano, den bedächtigen Medizinmann. Beide stammen aus Drúa, einem 20-Hütten-Dorf weiter flussaufwärts im Nationalpark. Die halbautonome Emberá-Gemeinde hat sich sanft dem Tourismus geöffnet. Frauen stellen Kunstgegenstände her, Männer bieten sich als Bootsführer und Begleiter auf Dschungeltouren an.

Venta de Cruces nennt sich eine vollständig zugewachsene Lichtung in unmittelbarer Flussnähe. Ein verrostetes Bettgestell unter einem Panamabaum. Das ist alles. Und dennoch ist der Ort auf alten Landkarten eingezeichnet. Hier wurden die Lastträger und Maultiere mit schweren Gold- und Silberbarren entladen. Je tiefer wir aus den sumpfigen Flussniederungen in den Dschungel eindringen, um so klarer erkennbar wird ein Weg. Mitten im Regenwald markieren zentnerschwere Steine die einstige Goldstraße. Der Camino de Cruces ist der dritte Weg zwischen den Ozeanen. Denn zunächst legte die spanische Handelsflotte zweimal jährlich in Nombre de Dios, später in Portobelo an, lieferte Getreide, Waffen und Stoffe, um mit peruanischem Gold und Silber wieder den Rückweg anzutreten. Doch englische Seeräuber machten die Städte an der Atlantikküste dem Erdboden gleich und zerstörten auch Panama-Stadt vollständig. Die Spanier legten einen dritten Weg an.

Mühelos und ohne Machete findet Noldo die richtige Route. Hin und wieder beweist ein rotes Band, dass wir uns nicht verlaufen haben. Wie eine tiefe Schneise führt der Camino de Cruces an vielen Stellen durch den Urwald, eingegraben vom Gewicht der kilometerlangen Packkarawanen, eingesunken durch die heftigen Regengüsse, die immer wieder auch temporär kleine Flüsse entstehen ließen. Was ist ein ausgetrocknetes Flussbett, was ein angelegter Maultierpfad? Noldo weiß es. „Die Maschine geht kaputt, der Mensch nicht“, meint er nach siebenstündigem Fußmarsch. Dumpf brütet die Hitze über unseren Köpfen, doch es ist schattig und fast dunkel im Urwald. Nur hin und wieder durchbricht ein Sonnenstrahl die geschlossene Baumdecke. „Vámonos compañeros“ – Noldo ist am nächsten Tag wieder früh auf den Beinen. Wir bewegen uns schwitzend vorwärts auf dem tunnelartigen Pfad, immer wieder erstaunt, wie gut erhalten der Weg ist. Dabei hatte die spanische Krone auch den Camino de Cruces und damit Panama Mitte des 18. Jahrhunderts völlig aufgegeben. Das peruanische Silber wurde schwer bewacht wieder auf dem 8.000 Kilometer langen Umweg um Kap Hoorn nach Spanien gebracht.

Bei weitem nicht so beeindruckt wie wir, zeigt uns der Führer am Nachmittag vom 150 Meter hohen Aussichtspunkt im schon stadtnahen Naturpark die Skyline von Panama City. Herzlich Willkommen im Steuerparadies am Pazifik, 3,8 Millionen Offshore-Firmen brauchen hunderte von Banken, Billigflaggenreeder aller Länder ebenso. „Der Kanal ist die wahre Goldstraße von Panama“, sagt Noldo vor der Puente de las Américas. Unter uns fährt die „Franklin J. Phillips“ in die Miraflores-Schleusen. Der US-Frachter hat Militärgüter geladen. Wohin die Reise wohl geht?