Wir sind alle seriös

Kunstsammler haben es nicht leicht. Schon gar nicht, wenn die Vorbesitzer ihrer Schätze verfolgt,vertrieben oder ermordet wurden. Und das auch noch im Dritten Reich

von HENNING BLEYL

Das Bild ist nichts Besonderes. Eine der im 17. Jahrhundert beliebten Bordellszenen, von Jacob Duck zum häuslichen Musikidyll stilisiert – mit Kupplerin im Hintergrund und einer Laute spielenden Hauptperson im grünen Kleid, dessen Faltenwurf etwas starr geraten ist.

Trotzdem geriet „Merry Company with a Woman Playing a Lute“, als es vor drei Jahren mit der reichlich hoch angesetzten Preisvorstellung von 40.000 bis 60.000 Pfund bei Christie’s in London auftauchte, in den Fokus einer umfangreichen internen Recherche – über die eine Christie’s-Mitarbeiterin abschließend schrieb: „Let’s hope, no journalist will have the idea to do this research again.“

Ein Satz wie eine Steilvorlage. Der Guardian bekam sie kürzlich zugespielt und brachte heraus, was das Auktionshaus offenbar nicht in die Welt tragen wollte: Das Gemälde stammt ursprünglich aus dem Besitz des jüdischen Ehepaars Ulla und Moritz Rosenthal, das 1944 in Auschwitz umkam. Anstatt es deren Erben auszuhändigen, schickte Christie’s das Bild an den Einlieferer zurück, den Sammler Carl Schünemann. Ein „Scandalo Christie’s“, wie die italienische Zeitung Il Manifesto titelte?

Der Mann, dessen Name noch am demselben Tag per ecua.net bis nach Südamerika ging, sitzt in Bremen – und versteht die ganze Aufregung nicht. Schünemann, Seniorchef eines alteingessenen Verlages, sagt, Kunst sei für ihn nur Liebhaberei, „nebensächlich“. Was den rüstigen Senior nach eigenem Bekunden wirklich begeistert, ist Physik, und zwar in ihren angewandten Formen: „Meine größte Leidenschaft ist Dampfbootfahren, ich schaufle gern Kohlen.“

Aber wie steht es nun mit dem Duck-Bild? „Das ist doch mein Privatbier, wenn ich was Falsches gekauft habe“, sagt Schünemann. Ein reineres Gewissen als er könne man gar nicht haben, schließlich habe er das Bild „in gutem Glauben“ bei einer renommierten Galerie erworben. Jetzt aber sieht sich der Verleger „in Dinge hineingezogen, für die man nichts kann“. Beim Christie’s-Konkurrenten Sotheby’s sei ihm gesagt worden, dass Fälle wie der seine jeden Tag dutzendweise vorkämen. „So verliert man die Lust am Hobby.“

Mit „Hobby“ hat der Bremer Kaufmann eher tiefgestapelt. In Fachkreisen gilt Schünemann als „sehr interessanter Sammler“, bei Christie’s und anderen Häusern ist er als langjähriger Kunde registriert. Auch für Schünemanns finanzielle Grundausstattung spielt Kunst eine wichtige Rolle. Ein erheblicher Teil des Verlagsumsatzes wird mit Nachbildungen verschiedenster Kunstobjekte eingespielt. Ein Imitat der Himmelsscheibe von Nebra, die von der Polizei bei Raubgräbern in einer aufsehenerregenden Aktion sichergestellt wurde, ist derzeitiges Top-Angebot bei Schünemann. Kunstdiebstahl kann eben auch wertsteigernd wirken, zumindest für den Replikate-Markt.

Schünemanns eigene Schlagzeilen sind ihm natürlich weniger willkommen. Der Verlags-Senior geht derzeit juristisch gegen die „ehrabschneidenden Behauptungen“ des Guardian vor. Insbesondere gegen eine Passage, der zufolge bereits 1997 und 1998 zwei Schünemann’sche Christie’s-Einlieferungen als gestohlen beziehungsweise gefälscht identifiziert wurden.

Auch Christie’s selbst fühlt sich vom Guardian zu Unrecht angegriffen. Nach geltendem britischem Recht habe der Vertrauensschutz der Einlieferer Vorrang vor den Ansprüchen der Erben. Im Übrigen sei insbesondere die zitierte „Let’s hope no journalist …“-Mail nicht authentisch.

In einem wichtigen Punkt widersprechen sich allerdings auch Christie’s und Schünemann. Das Auktionshaus betont, es habe Schünemann aufgefordert, sich mit dem „Art Loss Register“, einer internationalen Datenbank über geraubte Kunst, in Verbindung zu setzen. Auch sei ihm Hilfe bei der Kontaktaufnahme zu den Rosenthal-Erben angeboten worden. „Das stimmt nicht“, sagt Schünemann klipp und klar. Den Namen Rosenthal habe er erstmals im Guardian gelesen.

Wem er das Bild nach der gescheiterten Versteigerung stattdessen gegeben hat, will er allerdings nicht mitteilen. Aber er könne es jederzeit zurückbekommen, sein Anwalt habe schon entsprechende Kontakte aufgenommen, mittlerweile auch zu den Erben. Möglicherweise würde der Geldwert des Gemäldes letztendlich durch acht Parteien geteilt, die mit der „Merry Company“ zu tun hatten. Schünemann betont: „Wir sind alle seriös. Auch ich war immer als seriös bekannt.“

Daran besteht kein Zweifel. In Schünemanns Verlag erscheinen unter anderem die Bremer Kirchenzeitung, das Bremer Adressbuch, das „Bremer Staatshandbuch“ sowie, schon seit 1849, das „Gesetzblatt der Freien Hansestadt“. Und zu den Untermietern im zweihundert Jahre alten Stammhaus des Unternehmens gehören ehrbare Leute wie der Wirtschafts- und Kultursenator.

Auf ähnlich honorige Vehältnisse trifft man bei den vorherigen Stationen der „Merry Company“. 1995 hat es Schünemann bei der angesehenen Münsteraner Galerie Frye & Sohn gekauft. Deren Inhaberin – „ich bin unschuldig, das müssen Sie mir glauben“ – verweist auf den Erwerb des Bildes beim Kölner Auktionshaus Lempertz, auf dessen Herkunfts-Recherchen sie sich verlassen habe. „Da kann man Vertrauen haben.“

Lempertz ist tatsächlich bestens beleumundet. Teilhaber Henrik Hanstein, Vizepräsident des Verbandes Europäischer Kunstversteigerer, war Anfang der Neunziger einer der Initiatoren des „Art Loss Register“. Die Gerhart-Harms-Auktionen in Berlin allerdings, berüchtigte „Judenauktionen“ von 1937 und 1938, bei denen laut Lempertz-Katalog von 1992 auch die „Merry Company“ verkauft wurde – sind Hanstein „völlig unbekannt. Den Namen höre ich zum ersten Mal.“ Dafür kennt er Schünemann („ein sehr ehrenwerter Mann“), weiß Bescheid über Napoleon („nach geltendem Völkerrecht müsste man den halben Louvre ausräumen, weil der durch Feldzüge gefüllt wurde“) und die Verjährungsfristen des deutschen Privatrechts: „Danach haben die Erben keinerlei Rechte mehr.“

In der Tat gilt „gutgläubig erworbenes“ Diebesgutes nach zehn Jahren kontinuierlichen Besitzes als „ersessen“. Schneller wechselnden Besitzern gestattet das Bürgerliche Gesetzbuch nach dreißig Jahren ein uneingeschränktes Nutzungsrecht.

Demnach hätten die Rosenthal-Erben spätestens 1967 ihre Ansprüche anmelden müssen. Was sie übrigens auch gegenüber Lempertz hätten tun können, wo die „Merry Company“ 1956 schon einmal unter den Hammer gekommen war. Anschließend hing das Bild offenbar jahrzehntelang im Wohnzimmer eines bundesdeutschen Wirtschaftkapitäns.

Wenn sich geraubte Kunst in öffentlicher Hand befindet, sind die Chancen der Erben auf Rückerstattung ungleich größer. Mittlerweile jedenfalls. Nachdem sich 1998 bereits die großen internationalen Museen im Rahmen der „Washington Conference“ zur Rückgabe von ehemals jüdischem Eigentum verpflichtet hatten, gaben ein Jahr später auch Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände eine entsprechende Erklärung ab: Unabhängig von zivilrechtlichen Verjährungsfristen sollen „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ gesucht und „faire Lösungen“ gefunden werden. Privatpersonen sind ausdrücklich aufgefordert, sich diesem Grundsatz anzuschließen.

„NS-verfolgungsbedingt entzogen“: 1936 flohen Ulla und Moritz Rosenthal nach Holland, wo sie 1943 von der Gestapo festgenommen und deportiert wurden. Schon 1937 war ihr in Berlin zurückgelassener Besitz, insgesamt achthundert Wertgegenstände, bei Harms versteigert worden. Wer in Auschwitz starb, hatte vermutlich schon lange nicht mehr an Kunst denken können. Trotzdem ist der Rechtsstreit um den ehemaligen Besitz der Verstorbenen oft der einzige Anlass, überhaupt von den Schicksalen Notiz zu nehmen.

Folgt man der Kette späterer Besitzer, driftet die Perspektive vollends ins Absurde ab: Zwischenhändler sehen sich spontan als potenzielle Opfer einer Rufschädigung, Versteigerer verweisen strikt auf Verjährung, und bekannte Experten wie der Münchner Kunstrechtler Günther Picker zeigen sich vor allem darüber befremdet, „wie nachlässig“ (nämlich spät) die Erben sich um ihr Eigentum kümmern. Deren Ansprüche werden offenbar als weitere Betriebsstörungen eines Kunstmarktes wahrgenommen, der sowieso schon durch Fälschungen und nichtrassistische Diebstähle belastet ist.

Seit 66 Jahren wandert die „Merry Company“ von Hand zu Hand. Die ursprünglich vorhandene Schuld scheint mittlerweile versickert, die Verantwortung für eine Entschädigung der Erben entsprechend verwässert. Wie löst man so was auf? Zur Debatte stehen juristische Verjährung, eine 12,5-Prozent-Gerechtigkeit oder das schlichte „Der Letzte hat eben Pech gehabt“. Demnach müsste Schünemann das Bild entschädigungslos zurückgeben.

Die Kunstraub-Annalen der letzten Jahre kennen aber auch wunderschöne Schenkungsgeschichten – in beide Richtungen – und durch sachverständige Schlichter vermittelte Halb/Halb-Vergleiche. Zu welcher Kategorie die „Merry Company“ einmal zählen wird, ist noch völlig ungewiss.

HENNING BLEYL, 34, ist Kulturredakteur der taz Bremen