Helden helfen Pop

One-Hit-Wonder und andere Gespenster: In der Krise setzt die Musikbranche auf Tagesaktualität und hofft auf Oldies

Es war ein kleiner Sprung an der Börse. Um 0,1 Prozent stieg letzte Woche der Aktienkurs für Vivendi, nachdem deren Tochter Universal Music Group die Übernahme des US-Labels DreamWorks bekannt gegeben hatte. Damit segelt das vor neun Jahren von Steven Spielberg, Jeffrey Katzenberg und David Geffen gegründete Unternehmen, das neben George Michael oder Whitney Houston vor allem Platten von US-Indiebands und Singer/Songwriter-Nachwuchs veröffentlicht hat, unter der Major-Flagge des Global Players.

Einige Tage zuvor hatte Sony erklärt, dass man sich mit Bertelsmann zusammenschließen wolle, auch EMI und Warner Music sind miteinander im Gespräch. Dabei ist diese anhaltend um sich greifende Zentralisation durchaus Spiegel einer Krise, im Sinne von Karl Marx: Es gibt keine neuen Märkte, also verteilt man „die bereits vorhandenen und funktionierenden Kapitale“ um. 100 Millionen Dollar soll Universal bei dem Deal geboten haben. Allein für den Vertrag mit Robbie Williams hat EMI gut 120 Millionen Dollar anlegen müssen. Entsprechend kann sich jetzt eine 80er-Jahre-Ikone wie George Michael ausrechnen, was sein Pop-Appeal auf dem heutigen Markt wert ist – „Sexed up“ ist eindeutig ein anderer.

Nun helfen Robbie Williams, Britney Spears, Justin Timberlake als „New King of Pop“ und dazu ein Haufen Castingstars der Plattenindustrie nicht wirklich weiter, wenn der Absatz stagniert. Immer mehr Labels plündern deshalb ihre Archive in der Hoffnung auf Umsatz, noch das letzte unveröffentlichte Tape der Beatles wird da zum Licht am Horizont kurz vor Weihnachten. Die Liste wird sich fortsetzen in nächster Zeit: Irgendwo schwirren bestimmt noch Live-Aufnahmen von den Rolling Stones herum oder ein paar Wohnzimmer-Demos von David Bowie.

Durch diese Output-Politik ist ein seltsames Gefälle entstanden, bei dem sich das Interesse auf Klassiker der Sechziger- und Siebzigerjahre konzentriert. Plötzlich wird offenbar, dass von der jüngsten Vergangenheit kaum Popgeschichte übrig bleiben wird. Zum Glück. Immerhin hat sich die Musikindustrie diesen Blackout selbst eingebrockt: Indem die Vermarktung von Musik zu einem unentwegten Buhlen um Aufmerksamkeit geworden ist, sind selbst Stars, die sich während der letzten Jahre gehalten haben, nichts weiter als alle paar Monate neu in Stellung gebrachte One-Hit-Wonder. Selbstläufer gibt es nicht mehr, nur permanente mediale Präsenz – entprechend wäre der Werbeaufwand für jedes zurückkehrende Popsternchen aus den Achtziger- oder Neunzigerjahren mindestens so hoch wie bei Lancierung der allerneuesten Boygroup.

Diese strukturelle Krise hat zu dem Kurzschluss geführt, dass aktuelle Musikproduktion fast schon im Tagesrhythmus definiert werden muss. Im Gegenzug werden Stars aus früheren Epochen als letzte historisierbare Persönlichkeiten gefeiert. Doch die Nachhaltigkeit eines Bob Dylan äußert sich nicht in der Auseinandersetzung mit seinen Songs, sie wird lediglich durch die Produktion technisch immer hochwertigerer Artikel zelebriert, etwa beim Reissue seiner Platten auf SACD. So existiert der Oldie als Mythos fort, und Pop braucht nicht zu altern. Beides sind Zerrbilder einer Musikindustrie im Stillstand – auch wenn die Aktien steigen. HARALD FRICKE