Verräterisches Kinderspielzeug

Das Leben, eine dekorierte Leiche: Christina Paulhofer inszeniert in Hannover „Fünf Goldringe“ von Joanna Laurens

In diesem Stück werden Bilder zu Untertönen: Sterne, die einst in der Wüste leuchteten, Flüsse, die demnächst versiegen, Silbergeld, das unter den Händen wegschmilzt. Ein Motiv nach dem anderen offenbart sich, manchmal ohne Vorwarnung hingeworfen, dann vorsichtig hin- und hergewendet. Eine Welt, die aus lyrischen Sprachkunststücken zusammengesetzt oder besser zusammengesehnt wird und vor allem eins in sich trägt: zerfließen, verdörren, vertrocknen.

Die britische Dramatikerin Joanna Laurens hat sich Zeit gelassen für ihr zweites Stück. Für „Die Drei Vögel“ wurde Laurens, 1978 geboren, mehrfach ausgezeichnet und mit der jung verstorbenen Sarah Kane verglichen. Ihre Themen ähneln sich: Liebe, Einsamkeit, Begehren, Verlust. Aber Laurens’ starke Eigenart ist eine artifizielle und zutiefst musikalische Sprache. Der Grundton der Antike und die Dissonanz der Fernsehsoap vermischen sich und konstrastieren mit einer sehr real angesiedelten Handlung.

Es ist Weihnachten, und wie jedes Jahr besuchen die beiden Söhne mit ihren Ehefrauen den Vater Henry, der zurückgezogen in der Wüste lebt. Dass eine der Frauen dem Vater heimlich die Geschenke für die Söhne mitbringt, ist zur Gewohnheit geworden. Er gaukelt den reichen Familienvater vor, der die Söhne mit einem lockenden Erbe weiter an sich zu binden versucht. Doch so wie die Wasserquelle des Hauses zu versiegen droht, sind auch die Gefühle eingetrocknet und die Lügen aufgebrochen. Simon hat sich ohne Wissen seiner Frau Miranda sterilisieren lassen. Er gibt sich und seinem Bruder die Schuld an der Flucht der Mutter, vor Jahren, und hat Angst, auch seine eigene Frau durch ein Kind zu verlieren. Schönes Paradox: Sie wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind und lässt sich mit dem jüngeren Bruder Daniel ein. Die Liebe jenseits der Sexualität verkörpert nur der Vater: Verliebt wie am ersten Tag spricht er seine Monologe an Sarah, die ihn schon vor Jahrzehnten verließ.

Am Schauspiel Hannover lässt die Regisseurin Christina Paulhofer von Anfang an keine Illusionen zu. Das Leben von damals ist vorbei, gestorben, eine Leiche. Nur noch die quietschbunten Oberflächen erinnern an früher, und davon gibt es zum Fest besonders viel. Spielzeug aus Kindertagen türmt sich in dem gläsernen Gartenschuppen, der auf der Bühne in den Sand gebaut ist. Links steht ein Schaukelplatz, ein Steg im Hintergrund führt an einen See.

Ein Kindheitsort, der zum Toben einlädt: Aber es sind Erwachsene, die ihre Probleme körperlich auszuagieren versuchen, in einem Vexierbild aus Popmythen und Fernsehbildern. Die Schwägerinnen geraten in Streit und veranstalten im Sand ein Wrestling. Eine Inzest-Erinnerung kocht zwischen den Brüdern hoch, deren sexuelle Annäherung nachgespielt wird. Der Blick auf das körperliche Muskelspiel verträgt sich nicht gut mit der Musikalität der Autorin, und es bleibt bis zum Ende das Gefühl, dass Paulhofer damit nicht viel anfangen konnte. Die Schauspieler tragen den Text erdenschwer vor sich her. Einzig Anne Ratte-Polle als Freyja kann beim Sprechen etwas Schwebendes entfalten.

„Ich zerging wie Pulverkaffee und Butterkeks“, sagt Simon, der sich später an den Ärmeln seines Spiderman-Kinderkostüms aufhängt. Die Vergänglichkeit des Fleisches ist leitmotivisch der Ewigkeit der Dinge entgegengesetzt. Kinderdreirad, Gummiboot, Taucherflossen, elektrische Reitesel und vieles mehr rumpeln die Bühne voll. Das Manko ist die aufgeladene Prätention, mit der sie dort liegen bleiben, als sei ihr Fortbestehen nach dem Vergehen der Menschen schon der Sturz aus der Selbstgewissheit in die verstörende Wahrheit. Immerhin: der Plastikstuhl bleibt in der Choreografie der Verwüstung fest verankert an seinem Platz stehen: der Thron für Dieter Hufschmidt als Vater Henry. Nebelschwaden hüllen ihn ein, ein Herrscher, der nach dem Zerfall seines Reichs umso mehr die Vergangenheit beschwört. Nicht nur die Dinge, auch manche Menschen verändern sich ums Verrecken nicht.

SIMONE KAEMPF