Atombehörde lobt und tadelt Teheran

Gouverneursrat kritisiert Verletzungen des Atomwaffensperrvertrages, unterstreicht jedoch die volle Kooperationsbereitschaft Irans. Die Befassung des UN-Sicherheitsrates mit dem Thema, wie von den USA gefordert, ist derzeit eher unwahrscheinlich

von BAHMAN NIRUMAND

Die herrschenden Mullahs in Iran haben mit ihrer trickreichen Diplomatie scheinbar Erfolg: Bei der gestrigen Tagung des Gouverneursrats der Internationalen Atombehörde (IAEA) in Wien gelang es ihnen, die USA zu isolieren und zu verhindern, dass die IAEA gemäß Washingtons Wunsch den Atomkonflikt mit Iran an den UN-Sicherheitsrat weiterleitet. Dieser könnte Sanktionen verhängen. Wie aus Diplomatenkreisen bekannt wurde, waren von 35 Mitgliedstaaten des Gouverneursrats nur Kanada, Australien und Japan bereit, dem Plan der USA zu folgen.

Zwar habe Iran den Atomsperrvertrag verletzt und die Atombehörde über sein Programm nicht ausreichend informiert, sagte IAEA-Generalsekretär al-Baradei gestern, doch das Land habe in den letzten Wochen volle Kooperationsbereitschaft gezeigt. Dies sei „sehr ermutigend“. „Aus der Perspektive der Nichtverbreitung von Atomwaffen sind wir weit gekommen.“

Damit Washington nicht ganz sein Gesicht verliert, wird nach letzten Meldungen der Gouverneursrat Iran wegen „Nichtbefolgung von IAEA-Abkommen“ und „Bruch der Verpflichtungen“ eine Rüge erteilen und vor „Wiederholung der Fehler“ warnen. „Vertuschung von Tricks“ würde nicht mehr akzeptiert.

Der Gouverneursrat hatte am 12. September Iran ultimativ aufgefordert, bis zum 31. Oktober sein Atomprogramm offen zu legen und das Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag, das der Atombehörde unangemeldete Inspektionen erlaubt, zu unterzeichnen. Das Ultimatum wurde damit begründet, dass IAEA-Inspektoren in Iran angereichertes Uran und Spuren atomwaffenfähigen Materials entdeckt hätten.

Teheran machte Zugeständnisse und versicherte, dass Irans Atomprogramm nur friedlichen Zwecken diene. Dann wurde Kooperationsbereitschaft mit der Atombehörde signalisiert und den Inspektoren gestattet, die Anlagen zu untersuchen. Schließlich erklärte die Regierung sich zur Unterzeichnung des Zusatzprotokolls bereit.

Der wichtigste Schachzug gelang Teheran mit einer Einladung an die Außenminister Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens, die in dem Augenblick erfolgte, als die EU dabei war, auf die US-Linie einzuschwenken. In einer gemeinsamen Vereinbarung versicherte Iran, sein Programm zur Anreicherung von Uran „vorübergehend“ einzustellen und das Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag zu unterzeichnen. Im Gegenzug akzeptierten die drei Außenminister die friedliche Nutzung der Nuklearenergie und sagten zu, die Entwicklung moderner Technologie in Iran zu unterstützen.

Damit hatte Iran die EU auf eine kooperative Linie festgelegt, die dem konfrontativen Kurs der USA entgegenstand. Die Vereinbarung wurde weltweit begrüßt. Russlands Außenminister Igor Iwanow sagte vor der Sitzung, er sehe keinen Grund für Sanktionen. „Wir sollten die Situation nicht künstlich aufheizen.“ Die Beratungen des Gouverneursrates sollen heute fortgesetzt werden. Dann solle ein Resolutionsentwurf gefunden werden, der „für alle akzeptabel ist“, sagte ein westlicher Diplomat.