Vorsicht! Sie sind reich!

Grüne und SPD wollen wieder mal an „die Reichen“ ran. Finden Sie richtig? Rechnen Sie erst mal. Denn zu den Reichen gehören viele, die sich selbst eher dem Mittelstand zuordnen würden

Der wirklich Reiche ist sensibel, reisefreudig und im Besitz von Arbeitsplätzen

von BARBARA DRIBBUSCH

Es ist ein altes Thema, das da mal wieder hervorgezogen wurde: Private Vermögen sollen „in angemessener Weise“ an der Finanzierung des Sozialstaats beteiligt werden, heißt es im jetzt verabschiedeten Leitantrag der SPD-Parteispitze. Auch die Grünen wollen auf ihrem Parteitag Ende November über eine höhere Erbschaft- und eine neue Vermögensteuer streiten. Man hört sie schon rufen: Ran an die Reichen! Die heikle Frage nur ist: Ab wann gilt eigentlich wer als reich? Und manche WählerInnen fragen sich bange: Bin ich etwa auch betroffen?

Die Politik tut dabei alles, um aufkommende Verlustängste zu dämpfen. Eifrig wird betont, dass höhere Vermögensabgaben auf keinen Fall „Oma ihr klein Häusschen“ bedrohen dürfen. Hinter dem Schlagwort „Omas Häuschen“ verbergen sich dabei erstaunliche Freibeträge. So bringen die Grünen einen Vorschlag für eine neue Vermögensteuer ins Gespräch, nach der jeder Erwachsene einen Freibetrag von 200.000 Euro plus 50.000 Euro pro Kind geltend machen könnte. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem schuldenfreien Vermögen (inklusive Immobilien) bis zu 500.000 Euro müsste damit keine Vermögensteuer zahlen. Nur die noch reicheren müssten ein Prozent vom Wert ihres Besitzes abzwacken.

Bis zu 500.000 Euro steuerfrei! Das soll irgendwie nach Schutz der Mittelschicht klingen, nach Häuschen in Stuttgart und einem Geldpolster auf der Bank. Familien eben, die Kinder großziehen, korrekt konsumieren, ordentlich Steuern zahlen – und die der Staat doch bitte in Ruhe lassen soll mit neuen Abgaben. Die Statistik zeigt allerdings ein anderes Bild: Rein rechnerisch befindet man sich hier schon munter in der Oberschicht. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Besitz im Wert von 450.000 Euro gehört zum einkommensstärksten Fünftel der Bevölkerung, so zeigen Zahlen des Wirtschaftsinstituts DIW. Wer von Umverteilung spricht, der dürfte dieses Fünftel eigentlich nicht schonen – doch niemand, auch die Grünen nicht, wagt sich an diese Milieus.

Dahinter verbirgt sich nämlich die heikelste Klassenfrage der Gegenwart: Wer ist eigentlich die schonungsbedürftige Mittelschicht und wer gehört schon zur beneidenswerten Oberklasse? Selbst bei den monatlichen Einkommen findet sich dabei rein rechnerisch so mancher in luftigen Höhen wieder, der sich selbst nur in der leidenden Mitte wähnte. Wer als Alleinstehender 2.600 Euro netto im Monat verdient, gehört schon zum einkommensstärksten Fünftel in Deutschland – und glaubt oft selbst, nur gerade mal dem sozialen Absturz zu entgehen.

Die Politik trägt diesen Verlustängsten Rechnung, auch bei den Erbschaften. Hier haben Ehepartner heute schon 300.000 Euro und Kinder jeweils 200.000 Euro erbschaftsteuerfrei. Daran will auch die SPD wenig ändern und bestenfalls die Immobilien künftig etwas realistischer bewerten lassen.

Dass arbeitslose libanesische Immigranten in Berlin eine Zahnarztfamilie in Düsseldorf als Oberschicht ansehen, gilt also wenig. Denn Politik wird mit herrschenden Bildern, nicht mit Statistiken gemacht. Hierzulande ist das Bild des S-Klasse fahrenden Unternehmers mit Champagnerglas, zwei Villen und breit behüteter Ehefrau immer noch das Klischee „der Reichen“, die doch bitteschön mehr abgeben sollen von ihrem Geld.

Doch die Sache mit den Reichen hat einen Haken: Der Reiche ist sensibel, reisefreudig und als Unternehmer meist auch im Besitz von Arbeitsplätzen, die heiß begehrt sind. Der deutsche Milchverwerter Theo Müller lieferte dafür das jüngste Beispiel. Müller zog in die Schweiz an den Zürichsee, damit seine neun Kinder die Erbschaftsteuer sparen, wenn er dahinscheidet. Die Kinder liegen eindeutig über allen Freibeträgen: Das Müller-Unternehmen ist 500 Millionen Euro wert. Die deutsche Erbschaftsteuer vernichte „den Mittelstand“, rechtfertigte der fiskalverdrossene Müller den Umzug. Der Spruch wiederum wirft ein interessantes Licht auf die geschmeidige Definition von „Mitte“ und „Oben“ – und darauf, warum die Verteilungsfragen der SPD und den Grünen so heftiges Kopfzerbrechen bereiten.