Ein Dämpfer für die USA

Bei den Verhandlungen über den größten Handelsblock der Welt behält Brasiliens Außenminister die Oberhand über den Handelsbeauftragten der USA

VON GERHARD DILGER

„Die Lektion von Cancún haben wir gelernt“, sagte Robert Zoellick, Handelsbeauftragter der US-Regierung vorgestern Abend. So begründete er, warum die Ministerrunde in Miami schon wieder vorbei war. Galt das WTO-Treffen in dem mexikanischen Badeort vor zwei Monaten als „gescheitert“, so melden die Nachrichtenagenturen nun in schönster Eintracht, man habe sich in Miami auf die Rahmenbedingungen für die FTAA, die Free Trade Area of the Americas, „geeinigt“ – Ziel sei der „größte gemeinsame Markt der Welt“.

„Von solch historischer Bedeutung“ wie der Fall der Berliner Mauer sei so eine Freihandelszone, sagte Zoellick. Doch das Pathos wirkte deplatziert: Bislang hat sein Gegenspieler Celso Amorim die Oberhand behalten. Brasiliens Außenminister zeigte sich ähnlich aufgeräumt wie in Cancún. Auch diesmal ging sein Konzept auf: Es soll eine FTAA mit gemeinsamen Regeln geben, lautet das Ergebnis von Miami.

Die 39 Punkte der Abschlusserklärung sind eine Ansammlung von „Anweisungen“, „Orientierungen“ und Verfahrensbestimmungen. Mit Ausnahme Venezuelas halten zwar alle Regierungen am ursprünglichen Start im Januar 2005 fest. Der entscheidenden Ministerrunde in Brasilien gehen demnach mindestens drei Treffen des Verhandlungskomitees voraus, auf denen bis zum 30. September 2004 „ein gemeinsamer und ausgewogener Komplex von Rechten und Pflichten“, entwickelt werden soll, „die für alle Länder gelten“. Der meistgebrauchte Schlüsselbegriff lautet „Ausgewogenheit“ – ein deutlicher Dämpfer für Washington.

Amorims stärkstes Argument: „Man kann den Freihandel nicht nur für die Bereiche predigen, in denen man wettbewerbsfähig ist“. Damit umreißt er die Position der Industrieländer bei den FTAA- und WTO-Verhandlungen: Während vor allem die USA weitere Marktöffnungen und Garantien für ihre Unternehmen fordern, wird die eigene Landwirtschaft mit Milliardenbeträgen subventioniert. Zugleich halten sie viele landwirtschaftliche Produkte aus Ländern des Südens durch Zölle und andere Barrieren von ihren Märkten fern.

Mit Rücksicht auf die US-Bauern, einen entscheidenden Teil der republikanischen Wählerbasis, bleibt die Regierung Bush in diesem Punkt hart. Um der absehbaren Sackgasse auszuweichen, hatten sich Amorim und Zoellick bereits vor 14 Tagen auf die Marschroute für Miami geeinigt. Der nun skizzierte Plan gliederte alle strittigen Punkte in die WTO aus und erlaubt es den Ländern, über ein verpflichtendes Regelwerk hinaus bi- oder multilaterale Freihandelsabkommen zu schließen.

Letztere Variante forcieren die USA. Mit seinen Kollegen aus Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien kündigte Zoellick am Dienstag bilaterale Abkommen für 2004 an. Die Regierungen der Andenländer sind stark von Washington abhängig und können sich Abweichungen von neoliberalen Rezepten nicht leisten. Zoellick verteilte diskrete Seitenhiebe an Brasilien und gute Ratschläge: Peru und Kolumbien müssten „Anstrengungen für die gerechte und rasche Lösung von Streitfällen mit US-Investoren zeigen“, in Ecuador sei der Schutz von Arbeiterrechten „nicht adäquat“. Die Gegenseite übte sich in Unterwerfung: Freihandel sei „die beste Art, den Terrorismus zu bekämpfen“, zitierte Ecuadors Außenhandelsministerin Ivonne Baki einen Satz Zoellicks.

Wenig hingegen war von der viel beschworenen „Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft“ zu spüren. 20.000 FTAA-GegnerInnen aus Nord und Süd, allen voran die US-Gewerkschaft AFL-CIO, wurden vom größten Polizeiaufgebot in Schach gehalten, das je in Florida aufmarschiert ist. Bei Scharmützeln im Anschluss an die Großdemonstration am Donnerstag wurden 15 Menschen verletzt und 140 festgenommen. Das Abkommen von Miami sei „nichts als ein verzweifelter Versuch Zoellicks, das Gesicht zu wahren“, höhnte AFL-CIO-Chefökonomin Thea M. Lee.

Für die AktivistInnen ist die FTAA der Versuch, die seit zehn Jahren bestehende Freihandelszone Nafta (USA, Kanada und Mexiko) auf die ganze Hemisphäre auszuweiten. In Argentinien und Paraguay sammeln die Gegner Unterschriften. Die entscheidenden Schlachten um FTAA, da sind sich alle einig, werden nächstes Jahr geschlagen.