„Die liberalen Muslime müssen Flagge zeigen“, sagt Frau Spuler-Stegemann

Die Muslime in Deutschland sollten einen klaren Trennungsstrich zum antisemitischen Islamismus ziehen

taz: Frau Spuler-Stegemann, hätte die Al-Quds-Demonstration, die heute in Berlin stattfinden wird, verboten werden müssen?

Ursula Spuler-Stegemann: Ja. Ich denke, der Staat hätte sich dazu durchringen sollen, diese Demonstration zu verbieten – auch wenn sie ein Schweigemarsch ist. Das ändert nichts daran, dass hier ganz massive antisemitische Agitation betrieben wird. Aber wenn es dazu nun zu spät ist – das Allerwichtigste ist, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass es sich hier um eine gefährliche Zusammenballung extremistischer Kräfte des Islams handelt.

Von Regierungsvertretern wie der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck erwarte ich auf Dauer eine klarere Antwort auf die Frage, wo für sie die Grenzen des Erträglichen an islamistischen Bestrebungen in der Bundesrepublik erreicht sind.

Manche Kritiker meinen, dass liberale und demokratische muslimische Gruppen sich kaum zum Antisemitismus der Islamisten äußern? Stimmt das?

Ja. Die liberalen Muslime nehmen das Problem mehrheitlich gar nicht wahr. Außerdem teilen viele das massive Unbehagen gegenüber der Politik Israels – wie auch viele Nichtmuslime. Das Problem, das die Islamisten durch die Verquickung der Kritik an Israel mit der Religion verursachen, erkennen viele überhaupt nicht. Um eine liberale, demokratische muslimische Öffentlichkeit zu schaffen, muss auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich Partner suchen, mit denen man politisch progressiv weiterkommt. Es gibt hier immer mehr hervorragende, integrierte und integrationswillige Muslime mit klarem Blick. Mit denen man zusammenarbeiten sollte.

Ist diese Unterscheidung zwischen integrationswilligen und integrationsunwilligen Muslimen wirklich nützlich? Befördern Sie mit solchen Ausgrenzungen nicht gerade die Radikalisierung?

Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen doch der Realität ins Auge sehen. Es gibt nun einmal Muslime, die sich nicht integrieren wollen oder die dazu gebracht werden, Gegenpositionen zu unserer Gesellschaftsordnung aufzubauen und einzunehmen. Darauf muss man aufmerksam machen – und diesen Entwicklungen muss man politisch entgegenwirken.

Also bloß keine Parallelgesellschaften. Was spricht dagegen, Parallelwelten von Muslimen zu akzeptieren?

Es funktioniert ja nirgends. Die Parallelgesellschaften zum Beispiel in Großbritannien sind Quelle immer wieder aufflammenden Aufruhrs. Die Leute sind gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und wissen im Grunde überhaupt nicht, gegen was sie sich stellen. Da hilft nur eines: aufklären, aufklären, aufklären.

Der Soziologe Werner Schiffauer warnt davor, auf islamistische Gruppen panisch zu reagieren. Denn dort gebe es eine doppelte Öffentlichkeit; nach außen radikal, innen eher nicht. Schiffauer vergleicht dies mit den Grünen in ihrer Frühphase.

Man kann aber die islamistischen Gruppen nicht mit den Grünen oder Linken vergleichen. Etwa die türkische Milli Görüs, die größte islamistische Gemeinschaft in Deutschland, hat streng gefügte Hierarchien. Es mag dort an der Basis grummeln, aber an der undemokratischen Struktur und an der menschenrechtsfeindlichen Haltung der Spitze ändert sich dadurch nichts. Die Islamisten mit den Grünen und der PDS zu vergleichen, führt in die Irre.

Gruppen wie Milli Görüs ziehen gegen ihre Kritiker verstärkt vor Gericht, um Gegendarstellungen und Unterlassungsklagen durchzusetzen. Hat dies Auswirkungen?

Ja, es sind erste Konsequenzen dieser Strategie spürbar. Da werden Interviews zurückgezogen, oder es wird gegen den Abdruck geklagt. Gegen Aussagen in den Medien wird teils erfolgreich Einspruch erhoben oder prozessiert. Ich merke, dass manche meiner Wissenschaftskollegen und Publizisten sich nicht mehr zu Wort melden. Milli Görüs könnte diese Klagestrategie von Scientology übernommen haben; schließlich sind Scientologen dort eine Zeit lang ein- und ausgegangen – und bei denen war es ja auch erfolgreich. Über Scientologen redet heute keiner mehr, obwohl sie weiterhin Dinge vertreten, die dem Grundgesetz zuwiderlaufen. Allerdings hat diese Strategie auch positive Konsequenzen: Man sagt nur noch, was auch beweisbar ist. Das diszipliniert.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN