Arbeiter der Trauer

Mit andächtigem Ernst gedenkt der Film „The Guys“ der toten Feuerwehrmänner des 11. Septembers 2001

Nebenan reicht die Reihe für „Finding Nemo“ fast bis zum Eingang. Zur gleichen Zeit stellt mir meine Kassiererin in aller Ruhe die Sitzplatzauswahl vor. Sechs Menschen verteilen sich am Ende im großen Kinosaal, die „The Guys“ sehen wollen: Ein filmisches Gedenken an die toten Feuerwehrmänner des 11. Septembers, eine Leinwandadaption des relativ erfolgreichen Theaterstücks von Anne Nelson.

Noch vor dem Vorspann springt mein Vordermann plötzlich auf und rast hinaus. Vielleicht ist es das Thema, vielleicht sind es die jüngsten Ereignisse. Jedenfalls kontrolliere ich unauffällig seinen Sitz, auch wenn ich mir dabei albern vorkomme.

Der Film ist falsch eingelegt, das Bild oben angeschnitten, was den ersten Bildern einer Videoüberwachungskamera eine irgendwie experimentelle Melancholie verleiht. Auf gelbstichigem grobkörnigem Material gedreht haben die Schreibblätter, die über die Bürgersteige fliegen, eine abstrakte Schönheit und erinnern an den Tanz der Plastiktüte aus „American Beauty“. Dann ist das Bild ganz zu sehen, und man erkennt eine New Yorker Straße unweit des World Trade Centers kurz nach dem Anschlag.

Die Schreie, das Geräusch der zersplitternden Fenster, die ersten Sirenen werden von einer einlullenden Musik überdeckt. Dafür hören wir eine Frauenstimme, die uns von einem New York erzählt, das plötzlich nicht mehr ihres ist. Sie zeigt uns eine Postkarte der Skyline, auf der beide Türme noch zu sehen sind, und blickt ernst von der Leinwand auf uns herab. Es ist wie früher bei Predigten in der Kirche: Man soll andächtig sein und verspürt doch umso stärker den Drang zu kichern.

Dieser Film schreit nach weltweiter Trauerarbeit und trifft im Berliner Cinestar 6 auf ein winziges versprengtes Hängerpublikum. Der Japaner in der letzten Reihe hat Schuhe und Socken ausgezogen. Nun streckt er seine nackten Füße Sigourney Weaver entgegen, die von ihrem Ehemann Jim Simpson wie das Leiden Christas inszeniert wird.

Unter Aufbietung jeder erdenklichen Betroffenheitsmimik spielt Weaver eine Journalistin, die einem Feuerwehrhauptmann (Anthony LaPaglia) beim Schreiben der Trauerreden auf seine verstorbenen Kollegen hilft. Gleich in seiner ersten Szene sagt LaPaglia: „Meine Männer waren keinen Helden, keine Actionheros. Sondern ganz normale Männer, die ihre Pflicht getan haben.“ Er erzählt von Bill, der Wert auf gutes Essen gelegt hat, von Jimmy, der für jeden Spaß zu haben war, oder von Philipp, der so gut mit Metall arbeiten konnte.

Sigourney Weaver hört ihm gebannt zu. Mal kauert sie angespannt in der äußersten Sofaecke, dann lässig auf dem Boden. Und immer macht uns ihr Gesicht (eine Art menschlicher Teleprompter) vor, wie wir zu reagieren haben. Geht es um die gute Stimmung in der Mannschaftsküche, sollen wir mit ihr schmunzeln – und zum Taschentuch greifen, wenn es um die Hinterbliebenen geht.

Ohnehin hat der Film etwas von einem Kasperletheater, das sich ständig seines Zuschauers vergewissern muss. Längst hat man begriffen, dass man hier Tote durch Worte wieder lebendig machen will. Weaver, die Heilige Johanna des Ground Zero, lässt vor ihrem inneren Auge die Bilder des 11. Septembers wieder zurückspulen und erklärt uns noch einmal ausdrücklich: „Words! This is all I know to do!“

Am Ende läuft einer vom Geigengesäusel des Abspanns erbost und mit absichtlich trampeligen Schritten aus dem Kino. Hinten zieht sich der Japaner mit meditativer Ruhe seine Socken an. Auf eine unfreiwillige Art ist dies dann doch alles unendlich traurig. ANKE LEWEKE

„The Guys“ von Jim Simpson. Buch: Anne Nelson. Mit Sigourney Weaver und Anthony Lapaglia. Farbe, 95 Min.