Böse, kreuzdumm und zum Scheitern verurteilt

Chalmers Johnsons Buch kritisiert die Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik. Doch so bestechend seine Detailanalysen sind, so verwirrend sind seine Grundannahmen

Das neue Buch des amerikanischen Politikwissenschaftlers Chalmers Johnson hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Der packend geschriebene Text wartet mit einer schier überwältigenden Fülle interessanter Details auf, bietet eine Vielzahl treffsicherer Analysen, scharfsinniger Einzelbeobachtungen und provokanter Thesen. Johnson, ein glänzend informierter Kritiker US-amerikanischer Außenpolitik, schafft die Atmosphäre eines Gerichtssaals, begibt sich in die Rolle des Anklägers. Das von ihm zusammengetragene Beweismaterial ist erdrückend. Doch wie lautet seine konkrete Anklage? Von welchen Motiven werden die Tatverdächtigen angetrieben? Johnsons Antworten bleiben diffus und teilweise widersprüchlich. Am Ende erweist sich die Lektüre als eine frustrierende Angelegenheit.

Das beginnt schon mit der Frage, wann die von Johnson behauptete imperialistische und militaristische Prägung amerikanischer Außenpolitik beginnt. Zum einen meint er: Der 11. September 2001 ist das Stichdatum, an dem sich die USA von der „Republik“ zum „Imperium“ gewandelt haben. An anderen Stellen seines Buches hingegen unterstellt er: Eine imperialistische Ausrichtung hat bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt, genauer gesagt mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg des Jahres 1898. Um seine Kontinuitätsthese glaubhaft zu machen, sieht sich Johnson immer wieder zu gewaltsamen Vereinfachungen genötigt: Politiker wie Theodore Roosevelt oder Woodrow Wilson reiht er dann unversehens mit in die imperialistische Traditionslinie ein. Und die aktuellen Weltmachtfantasien der Bush-Entourage unterscheiden sich nur noch unwesentlich von ganz anders motivierten außenpolitischen Konzepten, wie etwa dem der „humanitären Intervention“.

Die USA entwickeln sich aus Johnsons Sicht immer mehr zu einem „militärischen Moloch“. Die Ausgaben für die Streitkräfte, für die Atomwaffenprogramme, die Geheimdienste, die Terrorismusbekämpfung und den Irakkrieg erreichten astronomische Höhen. Das habe dramatische Folgen für die innere Liberalität und Demokratie des Landes. Diese würden den vermeintlichen militärischen und sicherheitstechnischen Erfordernissen geopfert und durch eine Art „pentagonisierter“ Präsidentschaft ersetzt, durch ein System der Propaganda, der Desinformation und der Verherrlichung des Krieges, der Macht und des Militärs.

Was die globale Expansion des Landes angeht, so manifestiert sie sich für Johnson insbesondere in einem gigantischen und immer dichteren, weltweiten Netz amerikanischer Militärbasen. Seine Analyse dieses Netzes, der er einen großen Teil seines Buches widmet, ist zweifellos ein Glanzstück. Doch auch hier bleiben viele Fragen offen. Welche Funktion erfüllen diese Basen? Welche Rolle spielen sie in der amerikanischen Globalstrategie? Mehrfach bestreitet Johnson, dass die Militärbasen Ausdruck militärischer Kampfbereitschaft seien. Doch ganz sicher ist er sich da nicht. An anderer Stelle seines Buches vermutet er, dass die in den vergangenen Jahren merklich gewachsene Kriegsbereitschaft der USA möglicherweise allein auf die Existenz dieser Basen zurückgeführt werden könne.

Der Analytiker Chalmers Johnson verfügt über viele Qualitäten, doch theoretische Verallgemeinerung, schlüssige Thesenbildung, widerspruchsfreie Ursachenanalyse zählen nicht zu seinen größten Fähigkeiten. Die zentralen Begriffe der Untersuchung – Imperialismus und Militarismus – werden so locker definiert, dass sie beinahe beliebig einsetzbar sind. Die gegen Ende des Buches in Gestalt eines eigenen Kapitels vorgetragene Analyse der ökonomischen Globalisierung wirkt in der ansonsten allein auf die militärische Machtkomponente fixierten Darstellung wie ein Fremdkörper. Zu den Antriebsmomenten aktueller amerikanischer Regional- und Globalpolitik gibt Johnson die unterschiedlichsten Auskünfte. Sie stehen oft unverbunden nebeneinander, werden nicht gewichtet und immer wieder konterkariert durch eine der Zentralthesen des Buches: Die imperialistische Expansion der USA ist längst zu einer selbstläufigen Kettenreaktion, zu einer regelrechten „Sucht“ geworden. Sollte das zutreffen, ließe sich kaum noch, wie Johnson es dennoch tut, von einer „globalen Strategie“ oder einem „umfassenden Plan“ US-Amerikas sprechen. Jede über die militaristische Eigendynamik hinausgehende Ursachen- und Interessenanalyse würde sich erübrigen.

So bestechend die Detailanalysen, so verwirrend sind die Grundaussagen des Buches. Wirklich sicher ist sich Johnson nur in einem: Das militaristisch- imperialistisch gestützte globale Dominanzstreben der USA ist zum Scheitern verurteilt. Es wird das Land und mit ihm große Teile der Welt in einen permanenten Kriegszustand treiben. Die Politik der USA wird letztlich zwangsläufig in einer imperialen Überdehnung und dem Zusammenbruch ihres hegemonialen Systems münden. Diese Entwicklungsmöglichkeit deutet Johnson zu Beginn seines Buches kurz an, um sie dann am Ende ausführlicher zu erläutern. Sie ist keineswegs unplausibel, und doch enthält sie für den Leser ein Überraschungsmoment. Was mehrere hundert Seiten lang als meisterhaft ins Werk gesetzte und über alle Maßen erfolgreiche globale Herrschaftsstrategie erscheint, gewinnt unversehens irrationale Züge. Die Weltenherrscher im Weißen Haus wissen nicht, was sie tun. Am Ende erscheinen die USA des Jahres 2003 als eine Mischform aus Satan und volkstümlichem Teufel: unsagbar böse, gefährlich – und dabei kreuzdumm.

ULRICH TEUSCH

Chalmers Johnson: „Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie“. Aus dem Amerikanischen von Verlagsservice Dr. Ulrich Mihr. Karl Blessing Verlag, München 2003, 478 Seiten, 23 Euro