christoph schultheis
: Deutschland wählt keinen Superstar

Deutschland wählt vielleicht den Bundestag, aber niemals den „größten Deutschen“ noch den „Superstar“. Tele-Voting ist nicht Demokratie, sondern Diktatur.

Irgendwie dumm war es ja schon von Sat.1, ihren großen, wochenlang angetrailerten Samstagsfilm „Küss niemals einen Flaschengeist“ ausgerechnet dann in die Werbepause zu schicken, als nebenan auf RTL die 2. Staffel „Deutschland sucht den Superstar“ anfing. Das nur nebenbei.

Aber wo wir grad schon mal dabei sind, können wir uns ja tatsächlich kurzerhand und kurz mit der RTL-Show befassen. Nein, nicht mit Kemi, Gunther, Elli, Denise und Benni und Jessica und Steffen und Anke und Ricky und Judith und wie sie alle heißen, sondern mit denen, die sich aus den hoffnungsvollen Aspiranten am Ende einen Superstar herauspicken: mit Deutschland also. Jedenfalls steht das genau so großkotzig im Titel. „In Deutschland wird ein Superstar gesucht“ hätt’s allerdings wohl nicht so gebracht, hm?

Nun hatte ja Deutschland am Samstagabend rund 82.540.000 Einwohner und „Deutschland sucht den Superstar“ rund 5.210.000 Millionen Zuschauer. Aber „Ein Fünfzehntel von Deutschland sucht den Superstar“ würde auch irgendwie blöd klingen, nicht wahr? Klar kann man das witzig finden. Ist es aber nicht! Denn Deutschland sucht den Bundestag, gelegentlich auch ein paar Landtage und dergleichen – das war’s! Für „Deutschland sucht den Superstar“ hingegen braucht man weder Personalausweis noch Wahlbenachrichtigungskarte, sondern nur ein Telefon.

Gewählt wird aber, wie man fairerweise sagen muss, seit Samstag nicht nur ein neuer „Superstar“, sondern bis Freitag ja auch der „größte Deutsche“. Vom ZDF. Und dort hat man mit Steffen Seibert sogar einen richtigen Wahlberichterstattungsprofi in die ansonsten von Johannes B. Kerner moderierte Unterhaltungsshow gestellt. Normalerweise versorgt Seibert die Zuschauer an echten Wahltagen mit aktuellen Hochrechnungen, Wählerbewegungen und Sitzverteilungen. Und derselbe Seibert zeigt uns nun beim Kerner ebenfalls lauter Balkendiagramme, Prozentzahlen, Deutschlandkarten. Dabei wird auch dort nichts und niemand von Deutschland gewählt, sondern ausschließlich von denjenigen, die sich, nachdem in einer Fernsehshow verschiedene Telefonnummern eingeblendet wurden, dazu entscheiden, beliebig viele dieser Telefonnummern beliebig oft anzurufen! TED hieß das früher und bedeutete schlicht „telefonischer Dialog“, heute heißt es „Tele-Voting“. Und was uns die Sender als total basisdemokratisches Format verkaufen, ist bloß die Diktatur der Wahlwiederholungstaste, der Lobbyisten, Fan-Gemeinden, Sesselpuper – und des Geldbeutels. Denn jeder Anruf zählt nicht nur, er kostet auch. Tele-Voting als kapitalistische Ausbeutung unter dem Deckmäntelchen der Mitbestimmung: So muss man das sehen!

Ein professionelles Meinungsforschungsinstitut übrigens würde für die Suche nach Deutschlands Superstar usw. ganz einfach 1.000 ausgewählte Leute fragen – und gut.