Jetzt mal global gelacht

Wer andern eine Pointe schreibt: In „Die Optimisten“ hat Moritz Rinke einige Moral unter den Humor gemischt, aber bei der Uraufführung in Bochum lässt Matthias Hartmann schlicht Komödie spielen

VON MORTEN KANSTEINER

Die Figuren aus Moritz Rinkes neuem Stück könnten jemanden brauchen, der sie auf ein wohlwollendes Wort beiseite nimmt. „Mensch“, müsste er sagen, „legt doch mal die Maske ab. Kommt hinter dem Klischee vor. Ihr könnt doch mehr.“ Denn in „Die Optimisten“ wirken die Figuren manchmal allzu bescheiden: als wären sie vollkommen damit einverstanden, auf Eigenheiten zu verzichten.

Christian Kraus, von Beruf Ministerialrat im Bildungsministerium, hat es sich in der Rolle des alternden 68ers bequem gemacht: doziert über Marx und bevorzugt kalifornische Weine. Otto fährt Bus und liebt Kurbelwellen. Er verharrt brav auf der Position des bodenständigen Arbeitnehmers. Für den Enthusiasmus der Jugend ist Carla zuständig, eine Studentin, die sich noch mitten in der Nacht über globalisierte Ungerechtigkeiten entrüstet.

Auch die anderen – der Möchtegern-Filmregisseur Nick, die Ärztin Maria, die Journalistin Inken, der Reiseleiter Tom – repräsentieren jeweils einen Typus, definiert durch Alter, Bildung und professionelle Deformationen. Aber gleichzeitig merkt man ihnen an, dass diese Aufgabe sie nicht ganz ausfüllt. Da ist so ein Überschuss an Alltag in den Dialogen. Sie wolle eine Petition „auch eigenverantwortlich mit ausarbeiten“, sagt Carla, wenn sie einfach meint: „selbst schreiben“. Das hat Rinke so schön der Cafeteria abgelauscht, dass man jeden Schematismus darüber vergessen könnte. Umso mehr, wenn Carla später ausrastet und mit einer Kalaschnikow in der Hand den Ministerialrat examiniert: „Kennst du IWF?“

Ja, die Figuren bräuchten jemanden, der ihre Schokoladenseite ins Licht dreht, die Seite, wo sie rund und individuell wirken. Damit wir uns ein bisschen mit ihnen anfreunden können. Denn das muss sein, sonst funktioniert das Stück nicht. Wenn wir Carla, Christian und die anderen nach den ersten Szenen, in denen sie in einem nepalesischen Hotel den Besuch einer Globalisierungskonferenz vorbereiten, streiten und auf den Bus warten, nicht ein wenig lieb gewonnen haben, endet das Ganze in der Belanglosigkeit. Dann kann man beim langsamen Abstieg in die Katastrophe nicht mitleiden. Interessiert doch keinen, ob das Leben dieser Leute in Gefahr ist, wenn sie im Grunde nie eins hatten.

Matthias Hartmann, der die Uraufführung in Bochum inszeniert hat, zielt jedoch mehr auf das komische Potenzial der Figuren. Carla steigert sich hier zur Lara Croft der Hörsäle. Rittlings auf einer Sitzbank neigt sich Lena Schwarz ganz tief über welthandelskritische Unterlagen, und später erklimmt sie breitbeinig eine Barrikade. Den Otto zeigt Felix Vörtler als Bild eines Busfahrers: jede Menge beleibte Gutmütigkeit. Inkens Schwäche für Sherry steigert Johanna Gastdorf bis in den Dauerrausch. Doch so weit sie auch Richtung Karikatur gehen – gegen Michael Maertens kommen die anderen nicht an. Denn der gibt Nick, ohne groß im Text zu forschen, einfach die Gestalt, mit der er in Bochum in den vergangenen Jahren mehrfach reüssiert hat: dieselbe Pressstimme, dasselbe Schnauben, dieselben Hängeschultern wie in Turrinis „Eröffnung“ oder der apokryphen Schiller-Komödie „Der Parasit“. Wieder schiebt Maertens seine Hüfte zur Seite und den Kopf nach vorn, wenn er eine Provokation abschießt, wieder faltet er beim Hinsetzen putzig seine Beine aus dem Weg. Die Physis eines Losers, aber das Timing eines Siegers. Wirklich komisch, keine Frage.

Die Probleme tauchen auf, wenn das Stück Nick ein Herz abverlangt: wenn er in einem nostalgischen Moment mit seiner Exfreundin Carla tanzt und später sogar eine kleine Liebe zu Maria aufkeimt. Denn Maertens hat seine Figur für Pointen gebaut, nicht für Gefühle. Selbst für körperliche Schmerzen ist sie vermutlich unempfindlich. Jedenfalls sieht man gelassen zu, wenn Nick in der vorletzten Szene angeschossen wird. Überhaupt: Was soll’s, wenn die Reisegruppe nach und nach von maoistischen Rebellen dezimiert wird, wenn sie im Hotel festsitzt, nur mit Spirituosen und gesalzenen Nüssen als Verpflegung und ohne Kontakt zur Außenwelt? Am Anfang war zu viel Komödie, als dass man das Leiden plötzlich ernst nehmen könnte. Matthias Hartmann stellt zwar einen schwermütig-schönen Schluss: Schweigen sinkt herab auf die Überlebenden, und in der blauen Tiefe der Bühne von Erich Wonder treibt Laub. Aber da ist es zu spät. Rinkes Parabel über westliches Gutmenschentum, das an der Realität eines fernöstlichen Konflikts zugrunde geht, hat bei der Uraufführung nicht funktioniert.