Eine Eskalation in Stufen

Die Geschichte eines nicht veröffentlichten Interviews mit SPD-Generalsekretär Olaf Scholz

BERLIN taz ■ Wie die meisten Konflikte zwischen Politikern und der Presse begann auch der Fall Olaf Scholz in schönstem Einvernehmen. Es war Dienstagabend voriger Woche auf dem SPD-Parteitag in Bochum, als taz-Korrespondent Jens König die Zusage für ein Interview mit dem SPD-Generalsekretär erhielt. Nach dem schlechten Ergebnis bei seiner Wiederwahl war Scholz unter Journalisten ein gefragter Mann. „Zehn Minuten, ein paar Fragen“ seien verabredet worden, schildert König das Gespräch, „und es gab keine Bedingungen.“

Das Interview fand am nächsten Morgen statt, an einem Stehtisch in der Vorhalle des Parteitags. „Scholz war sehr professionell und hat auf alle Fragen routiniert geantwortet“, sagt König. Kurz vor Ende des Gesprächs habe jedoch eine Mitarbeiterin eingegriffen. Ob er nicht ein paar andere Fragen stellen wolle? Der Leiter des taz-Parlamentsbüros beharrte auf seinem Recht, über die Fragen alleine zu entscheiden. Scholz, der sich nicht in den Wortwechsel eingeschaltet hatte, beantwortete die verbliebenen Fragen umstandslos.

Üblich ist zwischen Politikern und Reportern, dem Interviewten die schriftliche Fassung des Gespräches zur Freigabe vorzulegen. Unüblich war hingegen der Besuch, den der taz-Korrespondent bekam, als er auf der Pressetribüne die Tonbandaufnahme abtippte. Eine Mitarbeiterin des Generalsekretärs legte ihm nahe, die Druckfassung „zu entschärfen“, andernfalls werde Scholz die Freigabe verweigern. König lehnte ab und mailte wenig später dem Büro Scholz die vorgesehene Druckfassung zu. Die Absage überbrachte die Mitarbeiterin persönlich. Nicht an der Wiedergabe von Scholz’ Antworten nahm die Partei Anstoß, sondern an den Fragen. Sie seien „zu pfeffrig“, zitiert König die Begründung. Die Mitarbeiterin wollte sich gestern gegenüber der taz nicht zu dem Sachverhalt äußern.

Was folgte, war eine Eskalation in Stufen. Sollte das Büro Scholz bei seiner Ablehnung bleiben, so drohte der taz-Korrespondent, werde das Interview in der unautorisierten Fassung erscheinen. Der inzwischen eingeschaltete Leiter der Pressestelle konterte mit dem Hinweis, ein derartiger Schritt werde den Rauswurf der taz aus allen „Hintergrundkreisen“ bedeuten, auf welche die SPD Einfluss habe. In diesen Runden informieren Politiker meist vorab und vertraulich Journalisten, die persönlich eingeladen werden. Die Drohung wollte die SPD gestern weder bestätigen noch dementieren.

In der Berliner taz-Zentrale stand der Redaktionsschluss kurz bevor, die Folgen einer Ad-hoc-Entscheidung erschienen der Zeitung zu weitreichend. So verzichtete die taz zunächst auf einen Abdruck. Gleichzeitig erklärte König sich bereit zu klären, ob in der Redaktion Interesse an einem späteren ausführlichen Scholz-Interview bestehe. Die SPD versichert bis heute, zu einem derartigen Tauschgeschäft bereit zu sein.

Die Entscheidung der taz, den Fall exemplarisch öffentlich zu machen, stieß dagegen im Willy-Brandt-Haus auf Irritation. „Die Pressestelle zeigt sich sehr verwundert über das Vorgehen der taz. Mit Herrn König war vereinbart, ein ausführliches Interview nach dem Parteitag zu führen, und dem hat er zugestimmt“, erklärte gestern eine SPD-Sprecherin. Die taz bot der Pressestelle an, Königs Aussagen schriftlich zur Stellungnahme vorzulegen. Dieses Angebot wurde abgelehnt. Auch telefonisch wollte das Willy-Brandt-Haus zu den spezifischen Tatsachenschilderungen keinen Kommentar abgeben. PATRIK SCHWARZ