The Great Rock ’n’ Roll Swindle From Hell

Helmut Geier alias DJ Hell ist der weltberühmte Hauptdarsteller des „new german cool“. Morgens wählt er Musik für eine Donatella-Versace-Modenschau aus, abends spielt er Fußball daheim in Traunstein. Sein neues Album hört sich an, als sei die Kotze des Kalten Kriegs noch feucht

„Das ist schon massiv, was grad alles kommt. Wie konnte es so weit kommen?“ DJ Hell

VON CORNELIUS TITTEL

Wenn Helmut Geier Barry Manilow zitiert, sollte man kurz die Augen schließen. Er klingt dann wie eine besonders gut ausgedachte Figur Gerhard Polts; wie ein bauernschlauer Urbayer, der als DJ Weltkarriere macht und nun, wo „der Puffy“ und „die Donatella“ längst zu seinen Freunden zählen, verwundert Bilanz zieht. „Ich zitier wieder Barry Manilow“, sagt er dann in diesem wunderbar bayrischen Tonfall, „music and fashion was always the passion … ich bin nur ein Teil des ganzen Puzzles.“

Und was für eines: DJ Hell ist GQ-„Man of the year“ und, glaubt man dem SZ-Magazin, der nach Boris Becker und Marlene Dietrich glamouröseste Deutsche überhaupt. Einer, der zur Zeit wie Forrest Gump durch die Entertainmentwelt stolpert, hier die Musik für Donatella Versaces Couture-Shows auswählt, da ein paar Tracks für Puff Daddys Dance-Album produziert und dort noch eben die Compilation zum fünfzigsten Geburtstag des Playboy-Magazins fertig mixt.

Ein Star, der gerade jetzt an seiner Apfelschorle nippt und dabei so glamourös wirkt, wie eine gut ausgedachte Polt-Figur eben wirken kann. „Das ist schon massiv, was grad alles kommt“, sagt er und spricht sie aus, die Frage, die über allem schwebt: „Wie konnte es so weit kommen?“

Wie konnte aus dem „guten Gewissen des deutschen Techno“ das schlechte Gewissen aller Techno-DJs werden, die immer noch glauben, es ginge in erster Linie um Musik? Die sich, wenn er denn mal in der Stadt ist, verwundert die Augen reiben ob der von Hell provozierten Massenaufläufe. So gut er auch auflegt: an der Musik allein kann es nicht liegen, schon gar nicht an seiner eigenen.

Hell befriedigt Bedürfnisse: Fast im Alleingang hat er das gerade wieder abebbende Eighties-Revival losgetreten und sich selbst überaus wirksam als „International DJ-Gigolo“ positioniert. Wer zu Hell geht, geht nicht nur tanzen. Wer zu Hell geht, will sehen und gesehen werden und lässt sich vorher, sicher ist sicher, die Frisur asymmetrisch richten. Wer zu Hell geht, will sich für eine Nacht im Gigolo-Glamour suhlen, die Wangen hungrig eingezogen, die Nasenhärchen mit feinsten Kristallen verklebt.

Wie originell Hells Glamour-Entwurf ist, der seit gut zwei Jahren weltweit als the new german cool Karriere macht, zeigt sich spätestens bei der Record-Release-Party Anfang November in der Berliner Volksbühne. Das geladene Publikum, ein Who’s who des jungen Berliner Nacht-, Kultur- und Medienlebens, sitzt auf den Rängen, während oben auf der Bühne Models Champagner trinken, erhebliche Mengen (echtes?) Kokain konsumieren und gegen Ende des dazu abgespielten Hell-Albums „NY Muscle“ (Motor/Universal) mehr oder minder simulierten Sex praktizieren. Alle scheinen begeistert, als seien sie hier nie zuvor bei einer Castorf-Inszenierung eingeschlafen, als sei das Klischee eines Klischees kein Klischee mehr, wenn man es denn nur laut genug behauptet.

Koks, Fashion, Sex und Champagner, fertig ist die geil-kaputte „Gigolo“-Welt, deren Herr und Gebieter ein kerngesunder, drogenfreier Amateurfußballer aus Traunstein ist. Eine Welt, die, man muss es sagen, auch ohne sein neues Album prima funktionieren würde. „Ein Avantgarde-Fucked-up-Dance-Album“, wie Hell es beschreibt, „das ja wirklich eine strenge, darke, emotionale Sprache spricht. Dass die GQ sagt, wir hören uns das freiwillig an, oder Spiegel-Kultur fragt, was ich für Bücher lese, das ist schon ein Respekt an meine Arbeit.“

Auch wenn die Aufmerksamkeit andere Gründe haben mag als seine Produzententätigkeit: Hell macht es auf „NY Muscle“ tatsächlich niemandem leicht. So deppensicher seine Selbstinszenierung funktioniert, so wenig geht er als Produzent auf Nummer sicher. Man muss bereit sein für „NY Muscle“, bereit für eine aggressive „Schlag mich, mir tut schon lange nichts mehr weh“-Stimmung, für endzeitliche Textaccessoires wie „Black suit, white tie, this is how I want to die“. Wer gerade nicht so sterben will, dürfte seine Schwierigkeiten mit „NY Muscle“ haben.

Was auf einer Gigolo-Party mit Hilfe der richtigen Stimulanzien durchaus funktioniert – die Simulation eines kollektiven „Tanzes auf dem Vulkan“ –, gerät zu Hause schnell zum nervenzerrenden Abturn. Das Lustige daran: Hell will es so, schließlich hat auch sein alter „Suicide“-Held Alan Vega, der für ihn auf zwei Stücken apokalyptischen Junk verzapfen darf, Platten gemacht, die sich weitaus besser rezipieren als hören lassen. Dabei sind die Zutaten im Grunde dieselben, die auch den Novelty-Charakter der von ihm maßgeblich promoteten „Electroclasher“ ausmachten: Punk, No Wave, EBM; in Ehren ergraute Genres, die Hell mit einer böse kickenden Ladung End-Achtziger-Chicago-House noch tiefer in den Dreck tritt. Ganz unten, wo selbst die Kotze noch nach Kaltem Krieg riecht, wird dann gebrüllt, bis es schmerzt, wird herrisch „Muscle Control“ eingefordert und rein gar nichts bereut.

Man hört, dass das Album in New York aufgenommen wurde, zu einer Zeit, in der es angesagt war, nachmittags im „Astrid Proll“-Coffeetablebook zu blättern und abends im „Berliniamsburg“-Club zu deutschen Electro-Punk-Platten den Mussolini zu tanzen. Eine äußerst surreale Style-Szenerie, die nun in „NY Muscle“ ihren finalen Sargnagel findet.

Und Hell selbst, durch seine ständige Medienpräsenz gleichzeitig Galionsfigur und Totengräber des kaputten Treibens? Sitzt da und beißt in eine Kartoffel; erzählt in diesem immer wunderbarer werdenden Polt-Tonfall von seiner Fußballmannschaft, von Traunstein und München, und davon, dass er eines Tages ein Benimmbuch für DJs schreiben will – die Manieren seiner Kollegen ließen doch oft zu wünschen übrig. Ein Typ, so nett und normal, dass ihm Hera Lind ihre Töchter anvertrauen würde. So fit und freundlich, dass die Schmerzensgesten auf „NY Muscle“ so authentisch wirken wie sein abwaschbares Tränentattoo.

Dass er mit seinem notorischen Posing einen Teil des Kredits verspielen könnte, den er als „gutes Gewissen des deutschen Techno“ über die Jahre angehäuft hat, kommt ihm dabei nicht in den Sinn. Auch dass ein Spaßvogel seinen Namen auf dem Timetable des letzten Berlin-Gigs durch ein offensichtlich hämisch gemeintes „DJ Vokuhila“ ersetzt hat, dürfte er nicht als Warnung werten – lieber Fashion-Junkie als drogensüchtig scheint sein Motto zu sein. Mit Blick auf seine berühmtesten deutschen DJ-Kollegen und das nächste Fußballspiel ein durchaus zukunftsträchtiges Karrieremodell.

Überhaupt ist ihm die Welt der elektronischen Musik längst zu klein geworden: „Ich würde gerne noch mehr im Fashionbereich machen“, sagt er, der als einhundertste Katalognummer seines Gigolo-Labels keine Platte, sondern einen schwarzen Slip veröffentlichte. „Ja, und auch im Filmbusiness würd ich in Zukunft gerne mehr Einfluss nehmen. Da treff ich mich am Donnerstag mit Klaus Lemke, der auch ein großer Gigolo-Fan ist. Ich hoff ja, dass Sybille Rauch mitkommt zum Essen, die würd ich auch gern mal kennen lernen.“

Es läuft also rund für die Trademark Hell, da kann sein Album noch so schwer verdaulich sein. Donnerstag rein ins Filmgeschäft und dann wieder raus, schnell nach New York, Puffy mit weiteren Tracks für sein Dance-Album beliefern, eventuell noch kurz Hugh Hefner treffen. „Ich gehe Kooperationen ein, die mich weiterbringen“, erklärt er seine pragmatische Politik: „Puff Daddy ist ein wahnsinnig interessanter Businessman, von dem ich nur lernen kann. Und Donatella Versace ist eine großartige Modeschöpferin und liebevolle Mutter. Auch davon kann ich nur lernen.“

Ob bei all dem Trubel nicht die Gefahr besteht, irgendwann tatsächlich zu glauben, was so in der Zeitung steht; die Gefahr, eines Morgens schweißgebadet als Marlene aufzuwachen oder, schlimmer noch, als Boris Becker? Da lacht er dann sein niederbayrisch-gewinnendes Lachen, und es würde einen nicht wundern, wenn er jetzt eine Schnupftabakdose aus seiner Jackentasche hervorzaubern würde. „Nein, nein, keine Sorge“, sagt er. „Obwohl ich mir den Artikel mit dem Marlene-Vergleich genau angeschaut habe.“ Ja, und? „Na, da stimmt ja alles, die ganzen Fakten, da ist ja nichts getürkt.“ Und das ist es dann wohl, das Geheimnis seines Erfolges; die Fakten, das Alibi; alles wasserdicht. Hell ist seinem eigenen großen Rock-’n’-Roll-Schwindel aufgesessen. Ganz unzynisch, es hat sich wohl einfach so ergeben. Hell, der Traunstein-Gigolo und Monaco-Franze; immer noch, fast hätten wir es vergessen, einer der besten DJs weltweit. Hoffen wir für ihn, dass er so schnell nicht auffliegt, der great rock ’n’ roll swindle from hell.