Den Nahost-Frieden im Blick

Israelis und Palästinenser legen am Montag die „Genfer Initiative“ vor. Dass sie ohne Mandat ihrer Regierung verhandelt haben, sorgt für Missstimmung

Dass Jimmy Carter nach Genf kommt, weckt international große Hoffnungen Kaum ein anderes Ereignis hat in der UNO-Stadt derart starke Kontroversen ausgelöst

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Als das letzte Mal ein US-amerikanischer (Ex-)Präsident nach Genf anreiste, ging es ebenfalls um den Nahen Osten. 1995 traf Bill Clinton in der Rhonestadt seinen – inzwischen verstorbenen – syrischen Amtskollegen Assad zu einem Vieraugengespräch, das im Vorfeld viele Hoffnungen geweckt hatte, unter anderem auf eine israelisch-syrische Verständigung über die Golanhöhen. Letzten Endes aber brachte es keine konkreten Ergebnisse.

Mindestens ebenso große Hoffnungen ruhen nun darauf, dass Clintons Vorgänger Jimmy Carter an der Spitze zahlreicher Prominenter aus aller Welt am Montag nach Genf kommt: zur feierlichen Unterzeichnung des „Genfer Initiative“ genannten Friedensplans, den Israelis und Palästinenser in den letzten zwei Jahren in Geheimgesprächen ausgehandelt haben – ohne Auftrag ihrer jeweiligen Regierung.

Die Anregung zu diesen Gesprächen ging ursprünglich von zwei Genfer Professoren aus. Und das Schweizer Außenministerium leistete im Rahmen seines „Programms für die zivile Friedensförderung“ kräftige, aber diskrete finanzielle und logistische Unterstützung der Gespräche.

Kein anderes Ereignis von internationaler Bedeutung hat in der UNO-Stadt und darüber hinaus in der ganzen Schweiz in den letzten Monaten für so viele Schlagzeilen gesorgt und so ernste Kontroversen ausgelöst wie diese Friedensinitiative. Israels UNO-Botschafter Levy befindet sich auf Geheiß der Regierung Scharon im nahezu täglichen propagandistischen Dauereinsatz gegen dieses „gefährliche“ Unterfangen. „Unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Israels“ ist dabei noch einer der harmloseren Vorwürfe Levys an die Adresse der Schweizer Regierung, insbesonders an die für Außenpolitik zuständige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey.

Die erst im letzten Jahr zur Außenministerin gekürte Sozialdemokratin hat sich in den letzten Wochen stark für die israelisch-palästinensische Friedensinitiative engagiert – und musste dafür teils unsachliche Kritik, vor allem seitens der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei von Christoph Blocher, einstecken.

Mit souveräner Gelassenheit und durch ständige geduldige Wiederholung der Argumente, die für diese Friedensinitiative sprechen, hat Bundesrätin Calmy-Rey in den letzten Wochen alle israelischen Propagandaattacken, die kleingeistigen Anwürfe eigener Landsleute, der Medien und auch die anfangs scharfe Kritik der Bush-Administration ins Leere laufen lassen. Durch intensive Reisediplomatie nach Washington und in andere westliche Hauptstädte gelang es der engagierten Außenministerin, die von ihr besuchten Regierungen zumindest zur Tolerierung der Initiative zu bewegen. Mit Erfolg. US-Außenminister Colin Powell sandte inzwischen sogar einen Brief an die Initiatoren, in dem er die anfängliche Kritik der Bush-Administration – „Störfeuer“, „unvereinbar mit der Road Map“ etc. – nicht mehr wiederholte und die Friedensinitiative sogar lobte.

Zur großen Überraschung vieler Beobachter äußerte sich inzwischen sogar US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, intellektueller Architekt des Irakkriegs und – zumindest bislang – einer der engsten Freunde der Regierung Scharon, vorsichtig positiv zur „Genfer Friedensinitiative“.

Kritik kommt allerdings auch vonseiten der in der Schweiz lebenden Palästinenser. Einige monieren die Aufgabe des Rechtsanspruchs auf Rückkehr aller im Ausland lebenden Palästinenser in einen künftigen Staat Palästina. Andere halten die „Zweistaatenlösung“ für einen grundsätzlich falschen Ansatz. Sie fordern die Rückkehr zu der bereits in den Fünfzigerjahren unter der palästinensischen politischen Elite populären Forderung nach Schaffung eines gemeinsamen Staates für die Juden und die Palästinenser.

Diese Forderung sei „zumindest auf absehbare Zeit völlig unrealistisch“, erklärte Mitte dieser Woche der US-amerikanische Historiker palästinensischer Abstammung, Raschid Khalidi, bei einem Besuch in Genf. Khalidi, ehemaliger Schüler des kürzlich verstorbenen Edward Said und – wie dieser seinerzeit – inzwischen auch Professor an der New Yorker Columbia University, ist einer der international profiliertesten palästinensischen Intellektuellen. Während der Madrider Nahost-Konferenz 1991 und in der Frühphase der Verhandlungen über das Oslo-Abkommen war er Berater der Delegation von Jassir Arafat.

Den Genfer Friedensplan begrüßt Khalidi als „eine Initiative, die zusammen mit anderen dazu beitragen kann, die Lähmung in der israelischen Politik zu überwinden und Bewegung in den erstarrten Aussöhnungsprozess zu bringen“. Verhandlungen über eine endgültige Friedenslösung müssten allerdings zwischen demokratisch gewählten Führungen beider Seiten stattfinden, ist er überzeugt.

Auf palästinensischer Seite, so Khalidi, müssten vor Aufnahme ernsthafter Verhandlungen „Neuwahlen für ein frisches Mandat“ sorgen. Die derzeitige Führungsriege um Jassir Arafat hält er für „überaltert und ungeeignet“, erfolgreiche Verhandlungen mit der israelischen Regierung zu führen. Sie solle „der dazu fähigen jüngeren Generation durch ihren Rücktritt Platz machen“.