All that Jazz

Jedes unvorhergesehene Glück hat seinen Preis: Christian Gaillys Roman „Ein Abend im Club“

Jazz ist nicht schön. Jazz ist erotisch und emotional. Aber Schönheit ist etwas anderes, sagt Simon Nardis, Held in Christian Gaillys Roman „Ein Abend im Club“. Nardis ist ehemaliger Jazzpianist, einst eine Berühmtheit, aber nun schon seit Jahren clean, also alkohol- und jazzfrei. Nun ist er Ingenieur für industrielle Heizanlagen, zufrieden verheiratet, die Rente ist nicht mehr weit, und in seiner Freizeit hört er klassische Musik. Da zum Beispiel ist Schönheit drin: „Mangels Swing stopfte er sich mit Schönheit voll.“

Diese Schönheit aber, als graue Harmonie in einem bekömmlicheren Leben, interessiert Gailly nur am Rande. Also führt er seinen Helden in Versuchung. In einen kleinen Jazzclub irgendwo in der Provinz. Dort wartet nicht nur sein Lebenselexier Jazz auf ihn, sondern auch: die große Liebe.

Christian Gailly, 1943 geboren, war Jazzsaxofonist und Psychiater, bevor er Autor wurde. Musik ist, als Thema oder als Strukturprinzip, in all seinen Büchern; „Ein Abend im Club“ ist schon sein elftes, es wurde von der Zeitschrift Lire zum besten französischen Roman 2002 gekürt. Gleichzeitig ist es der vierte Versuch, den Autor im Deutschen zu etablieren – von den ersten dreien ist einzig „Bebop“ (Luchterhand, 1998) noch lieferbar. Was verwundert, denn diese lichte, existenzielle Prosa, sie hat was, und sie erinnert von Ferne an Margriet de Moor.

Gaillys neuer Roman verhandelt die Stellung der Kunst unter Einsatz des Lebens, er stellt den Künstler dem Bürger gegenüber und fragt: Überleben oder „wirklich“ leben? Nardis Ehefrau Suzanne hat ihn zwar einst vor dem Absturz gerettet, aber ohne Jazz lebt er „seiner selbst beraubt“. Als er dann Debbie trifft, die Besitzerin jenes Jazzclubs, ist das eine Rückkehr des Lebens auf allen Ebenen. Er verpasst Zug um Zug zurück nach Paris, zur bürgerlichen Pflicht, und irgendwann bekommt seine Frau Suzanne es mit der Angst zu tun und fährt los, um ihn zurückzuholen.

Alles kommt, wie es kommen muss. Eine traumwandlerische Zwangsläufigkeit liegt über dem Erzählten. In immer präziser werdenden Andeutungen nimmt Gailly früh den Ausgang seiner Geschichte vorweg – die Spannung bleibt allein dem Wie vorbehalten. Überhaupt agiert auch Gailly nicht zu wenig in diesem Buch. Er ist dem Helden in großer Freundschaft, aber auch in „ewigem Neid“ verbunden, und er schiebt sich zuweilen sehr bewusst in den Vordergrund seiner Erzählung. Bei aller Verblüffung über die Macht des Zufalls hält er die Fäden des Schicksals demonstrativ in der Hand. Seine Vor- und Rückverweise, Überblendungen, Wiederholungen und Variationen, seine Abschweifungen, Beschleunigungen und Verzögerungen sind einerseits nah am mündlichen Erzählen. Sie zeugen aber auch andererseits von großem Kompositionswillen. Am Ende erzeugen sie jenen Schicksalssound, den man guten Gewissens musikalisch nennen kann.

Alles kommt, wie es kommen soll. Wünsche werden wahr, was im Nachhinein umso fataler wirkt. „Das Schlimmste sei gewesen, sagte er mir, dass er Suzannes Tod gewünscht habe, einen Tod, der alles geregelt, alle befreit hätte“. Das unmäßige, nicht mehr für möglich gehaltene und nicht aufzuhaltende Glück hat seinen Preis. Bereits Widmung und Motto des Romans spiegeln diese Zweischneidigkeit: „Reue, ich? / Nein, sagte er“, lautet das Motto, und die Widmung: „Für Suzie, und nur für sie“. Auch das ein Wiederkehrendes in Gaillys Romanen, die oft um die Ausschaltung der überflüssigen Dritten konstruiert sind – und diese heißt fast immer … Suzanne. MAJA RETTIG

Christian Gailly: „Ein Abend im Club“, aus dem Französischen von Doris Heinemann, Berlin Verlag, Berlin 2003. 141 Seiten, 16 €