Deutsche Schule: sechs, setzen

Experten der OECD kommen bei der Untersuchung des deutschen Bildungssystems zu einem vernichtenden Ergebnis: Unterricht veraltet und inflexibel. Kritik am dreigliedrigen Schulsystem

BERLIN taz ■ Der deutsche Pisa-Schock liegt heute exakt zwei Jahre zurück. Pünktlich zum Geburtstag des missratenen Zeugnisses für die vermeintliche Dichter- und Denkernation ist nun ein neues Dokument bekannt geworden, das bittere Einsichten enthält. „Das heutige System deutscher Schule“, so schreibt eine OECD-Expertenkommission, „gehört zu einem vergangenen ökonomischen und gesellschaftlichen System.“

Besonders negativ fiel dem Expertenteam die „Fragmentierung des Systems mit hohen Barrieren zwischen den Schulformen“ auf. Diese weltweit einmalige scharfe Trennung in die drei Begabungszweige Haupt-, Realschule und Gymnasium führe zu einem „versteinerten Schulalltag“. So steht es in einem Erfahrungsbericht, den die Experten Anfang Oktober vorlegten. Das interne Papier wird in der heutigen Zeit besprochen, es liegt der taz vor.

Besonders hart gingen die OECD-Forscher mit dem Berufsstand der Lehrer ins Gericht, genauer mit den Arbeitsformen und -bedingungen der Pädagogen. Es gebe keine Lehrerausbildung für Kindergärten, wundern sich die Experten. Eine Personalplanung für Schulen sei „nicht existent“. Einstellungskriterium für Junglehrer „ist offensichtlich nur die Prüfungsnote, nicht aber die Eignung für den Beruf“. Die Ausbildung deutscher Lehrer funktioniere so: Eine „geballte Ladung“ an Universität und im Referendariat – anschließe tue sich an Fortbildung bis zur Pensionierung nichts mehr.

Zu der Expertendelegation, die im September diesen Jahres eine Tour durch Ministerien, Universitäten und Schulen machte, gehörte auch der international renommierte Leiter der „Nationalen Bildungsagentur“ Schwedens, Mats Ekholm. Er sagte, Deutschland sei mit den Schulen, die er gesehen habe, „auf dem Weg in eine alte Zeit“. Ekholms und seiner Kollegen Visite diente als Vorstudie für den OECD-Test „Pisa für Lehrer“.

Eine Stellungnahme der Konferenz der Kultusminister (KMK) lag gestern nicht vor. Die KMK will heute in Bonn ihre neue Präsidentin Doris Ahnen (SPD) wählen. Die rheinland-pfälzische Schulministerin sagte im taz-Interview, die KMK habe eine beachtliche Reaktion auf Pisa gezeigt. Dazu gehöre es, eine Kultur der „individuellen Förderung“ von Schülern zu etablieren.

Ahnen warnte vor überzogenen Ewartungen: „Das absolute Minimum, bis bestimmte Maßnahmen wirken, sind fünf Jahre.“ Die Schulministerin wird ab Januar 2004 der KMK vorstehen. Sie sagte, es sei wichtig, in Deutschland die Bildungsexpansion entschieden voranzutreiben: „Wir wollen besser ausgebildete Menschen – und wir wollen viel mehr davon, als es bislang gibt.“ CHRISTIAN FÜLLER

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