Dem Barden schmeckt’s

Silvio Berlusconi kann alles und kriegt jeden. Neuester Köder des italienischen Ministerpräsidenten: eine Schnulzen-CD, von ihm getextet. Hören will sie keiner. Italien hat genug von seinem Schmalz

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Die Verkäuferin im Plattenladen ist ein wenig überrascht über den Kundenwunsch. „Sie sind gerade mal der Zweite in einem Monat, der nach der Scheibe fragt.“ Nach einer Scheibe wie vielen anderen, die gewöhnlich bloß auf obskuren TV-Homeshopping-Kanälen mit Ausstrahlungsgebiet Neapel und Umgebung vertrieben werden: Melancholisch lächelt der Barde vom Cover, den geneigten Kopf auf den Gitarrenhals gestützt. Unter dem einfallsreichen Titel „Meglio una canzone“ – „Besser ein Lied“ – gibt es sülzige Gitarrenklänge zu ebenso sülzigen Texten, in denen reichlich Tränen fließen, natürlich immer bloß wegen „amore“.

Kurz: Die CD wäre es nicht wert, über sie zu schreiben. Wenn da nicht die Reaktion des Kunden am Tresen wäre.

„Waaas?“, entfährt es ihm, „schämen Sie sich nicht?!“

Ganz als hätte der Kunde mit lauter Stimme nach einem Porno gefragt. Nicht der völlig unbekannte Sänger bringt den jungen Mann in Rage, sondern der prominente Texter: Es ist Silvio Berlusconi. Der wird mit seinen vierzehn Ballädchen zwar kaum in die Musikgeschichte eingehen. Dennoch werden womöglich auch zukünftige Generationen das Werk studieren: als Psychogramm eines Ausnahmepolitikers.

Clinton mag gelegentlich ins Saxofon blasen, Blair ab und zu zur E-Gitarre greifen, Schröder mehr oder weniger gekonnt gegen einen Ball treten. Nichts Ernstes, nur die absichtsvoll leicht dilettantische Zurschaustellung eines Hobbys, um es ein wenig menscheln zu lassen in der Politik. Berlusconi dagegen meint es richtig ernst: Er ist der Mann, der alles kann. „Ghe pensi mi“ – „Das erledige ich schon“, so hieß Berlusconis Generalbotschaft im letzten Wahlkampf, vorgetragen in Mailänder Dialekt.

So einer kauft sich nicht bloß einen Fußballclub, sondern diktiert dann auch dem Trainer die taktischen Winkelzüge vor dem gegnerischen Tor. So einer leistet sich nicht bloß drei Fernsehsender, sondern kümmert sich dann auch um die Kulisse der Samstagabend-Show. „Hätte er Titten, würde er auch noch als Ansagerin auftreten“, lästerte vor ein paar Jahren ein Journalist. So einer gründet sich seine eigene Partei, erfindet im Alleingang Symbol, Hymne und Programm („Ghe pensi mi“). Kein Wunder, dass der Norditaliener deshalb auch als Poet von Schnulzen bekannt werden möchte, die er ausgerechnet auf Neapoletanisch zusammenreimt – so signalisiert er seinen Kunden-Wählern, dass es keine Grenze gibt, die er nicht überwinden könnte.

Noch eine zweite Botschaft aber hat die CD parat: Berlusconi ist der Mann, der alle kriegt. Nicht bloß die Frauen – hier ist Silvio diesmal sogar überraschend bescheiden und lässt die eine oder andere in seinen Songs glatt widerstreben, während er ansonsten immer mit seinen amourösen Erfolgen prahlt. Vor allem den Sänger hat er gekriegt, auf denkbar einfachste Weise: Er hat ihn gekauft. Bis vor zwei Jahren klampfte Mariano Apicella zum Abendessen in den Restaurants von Neapel. Dann sah ihn Berlusconi – und seither greift Apicella für ihn in die Saiten, als Kontrakt-Barde mit festem Gehalt. „Die Tram kommt nur einmal im Leben vorbei“, fasst der Musiker sein Glückserlebnis zusammen. „Ich wäre doch blöd, wenn ich da nicht eingestiegen wäre.“

Er ist nicht der Erste, der in die Berlusconi-Tram gestiegen ist. Legendär ist der Fall eines Finanzbeamten, der die Bücher der Berlusconi-Unternehmen prüfen sollte, schier gar keine Unregelmäßigkeiten fand – und wenig später als Manager bei Berlusconis Fininvest einstieg. Wegen diverser Korruptionsdelikte im neuen Job wurde er dann verurteilt und von Berlusconi gleichsam als Dankeschön als Abgeordneter ins Parlament entsandt. So erfolgversprechend fand Berlusconi diese Methode, dass er sich schließlich dem ganzen Volk als politisierender Weihnachtsmann präsentierte: Steuern runter für alle, Renten rauf, auch für alle, dazu noch milliardenschwere Infrastrukturinvestitionen – ein „neues italienisches Wunder“ versprach er seinen Wählern.

Millionen Italiener goutieren eben diesen Berlusconi, das Allround-Talent, den spendablen Winner mit dem dicken Portemonnaie. Warum aber floppt seine CD, warum ist sie – nach einem blamablen Einstieg auf Platz 50 – schon wieder raus aus den Charts?

Wohl weil das italienische Wunder zwar für Apicella wahr geworden ist, nicht aber für den großen Rest. Weil die Italiener ihren Silvio nicht wiedererkennen, der vermeintliche Weihnachtsmann präsentiert sich jetzt als Abzocker: Die Steuern sind weiter hoch, die Renten der meisten niedrig wie gehabt, die Realeinkommen sinken Monat um Monat – und Berlusconis CD kostet stolze 21,50 Euro.