Der Kurator, den selbst Kenner kaum kennen

Als Leiter der nächsten documenta muss Roger-Martin Bürgel die Kunst vor allzu akademischen Diskursen retten

Eine der Ausstellungen, die Roger-Martin Bürgel zuletzt kuratierte, hieß „Das Privatleben der Spieler von Werder Bremen“. Das klingt verheißungsvoll. Weniger im Hinblick auf die in der Bundesliga doch sehr erfreulich aufspielenden Kicker als im Hinblick auf die Kunst. Die quält sich in letzter Zeit in Ausstellungstiteln gerne mit immer schwerwiegenderen programmatischen Versprechungen, die nicht weniger zu fassen suchen als Kunst & Politik & die ganze Welt.

In der Ankündigung zum Privatleben der Werder Spieler meint nun der 1962 geborene Kritiker, Kurator und Herausgeber der Wiener Kunstzeitschrift springerin: Die Kunst sei nie sonderlich gut darin gewesen, die Versprechen, die sie macht, zu halten. Dazu sei sie eben viel zu amoralisch. Stattdessen böte sie – nicht anders als das Leben selbst – Dinge, mit denen nie jemand gerechnet habe. Auf diese Worte möchte man die Hoffnungen für die documenta 12 im Jahr 2007 setzen, zu deren künstlerischem Leiter Roger-Martin Bürgel jetzt bestimmt worden ist. Immerhin, und damit ist ja schon ein Anfang gemacht, gehört Bürgels Wahl selbst zu den Dingen, mit denen niemand gerechnet hätte.

Bürgel scheint die wild card im Auslosungsverfahren der Findungskommission gewesen zu sein, der angehören Susanne Ghez, Kokuratorin der documenta 11, Gavin Jantjes, südafrikanischer Künstler, Shinji Kohmoto, Kurator am Kiotoer Museum für Moderne Kunst, Ulrike Gross, Künstlerische Leiterin der Kunsthalle Düsseldorf, René Block, Direktor der Kunsthalle Fridericianum in Kassel, und Anda Rottenberg, Kuratorin aus Polen. Sie mussten damit rechnen, dass ihr Kandidat nur in wirklich sehr gut informierten Kunstkreisen kein Unbekannter ist. Eher wenige, kleinere Ausstellungen in eher kleineren, durch ihre programmatisch konsequente Ausrichtung definierten Ausstellungsorten charakterisieren seine Vita. Allerdings erhielt er in diesem Jahr den zum ersten Mal ausgelobten „Walter Hopps Award for Curatorial Achievement“ der bekannten Menil Collection in Houston.

Auch könnte Bürgel, der seit 1983 in Wien lebt, als künstlerischer Leiter des österreichischen Beitrags zur Expo 2000 in Hannover schon einmal ein größeres Publikum erreicht haben. In der alten Kestner Gesellschaft kuratierte er die Ausstellung „Gouvernementalität. Kunst in Auseinandersetzung mit der internationalen Hyperbourgeoisie und dem nationalen Kleinbürgertum“. Hier allerdings stutzt man.

Stößt man nun doch wieder auf Kunst in der Funktion eines Vehikels für sehr akademische Diskurse? Diskurse, wie sie schon 1997 und 2002 in Kassel recht dominant in Szene gesetzt wurden. Dabei ist es durchaus in Ordnung, dass die theoriefreudige documenta-Linie mit Bürgel weitergeführt werden soll. Allerdings, die akademische Theorie wünscht man sich in einer wirklich ästhetischen Praxis gespiegelt. Richtig schöner Fußball, sozusagen, das wäre es.

BRIGITTE WERNEBURG