Männlichkeit mit Samthandschuhen

Johannes Heesters wird heute 100 Jahre alt. Das in Würde gealterte Symbol für galantes Machotum war den dankbaren Nachkriegsdeutschen Beleg dafür, dass im Krieg nicht alles so schlimm gewesen sein konnte. Heesters war so rein, dass das Publikum sich in ihm erkennen können wollte

VON JAN FEDDERSEN

Wie sie ihm alle applaudieren! Die Ovationen wollen kein Ende nehmen: Dagmar Koller, Alice & Ellen Kessler, Nadja Tiller, Waltraud Haas, Unterhaltungsfossile der Wirtschaftswunderjahre. Seine Tochter Nicole, die dem Vater in die Schauspielerei folgte, tuschelt ihm in dieser Szene während der ARD-Geburtstagsgala ein „Es läuft ganz toll, Jopie“ ins Ohr. Auch eine Cosma Shiva Hagen gratuliert dem Ernst Jünger der Bühne beglückt – sie spielte mit ihm 1999 in Garmisch-Partenkirchen, sie war die „Momo“.

Die meisten aber, die ihm die Ehre am ehesten zu erweisen gehabt hätten, seine Weggefährten aus den Tagen seines beruflichen Aufstiegs, die leben nicht mehr: Heinz Rühmann, Willy Fritsch, Zarah Leander. Die Ufa-Granden zu Nazizeiten, begraben und nur noch im Gedächtnis unserer Großeltern bewahrt.

Aber was macht das schon? Johannes Heesters, im Jahre 1903 im niederländischen Amersfoort geboren, war ohnehin der wichtigste unter ihnen – und wohl, neben Rühmann, der einzige, der das tausendjährige Versprechen fast schadlos überstanden hat. Seine Laufbahn nahm durch die Niederlage der Nationalsozialisten keinen Knick, im Gegenteil, obwohl er wie die Leander oder Marika Rökk von der Flucht jüdischer Stars aus Deutschland profitiert hat: Heesters Ruhm war ja erst möglich, weil er unter den Nazis spielte, weil er mitmachte, weil er seine Chance jenseits seiner holländischen Heimat suchte – und nutzte.

Ein erstaunliches Phänomen, dieser Johannes Heesters. Muss man mit ihm, einem Mitläufer wie die meisten, Frieden schließen? Oder wäre ein bitterer Groll als Haltung besser, so wie ihn viele in seiner holländischen Heimat nicht mehr aus der Wolle bekommen? Die meisten Niederländer haben Heesters nie verziehen, dass er erst unter der Regie der Ufa Karriere machte und sich nicht den völkischen Machthabern verweigerte. Möglicherweise ein Fall von verlagerter Scham: Wie Heesters haben auch die meisten seiner Landsleute keinen Widerstand gegen die Nazis geübt. Heesters war nach 1945 also das perfekte Objekt, um die Schuld an der Kollaboration zu lindern.

Was jedoch soll man diesem Mann ankreiden? Dass er wie die meisten Mitteleuropäer glaubte, bei den Nazis auf der Seite der Sieger zu stehen? Dass er, fast dreißigjährig, also 1933, endlich nach Wien einen Ruf erhielt und dort als Sänger bekannt wurde? Dass er die Lücken füllte, die durch die Emigration von Juden bei der Ufa entstanden? Muss man Heesters vorwerfen, dass er die Freunde und Förderer hatte, die er hatte – nämlich Goebbels und alle anderen Kader des braunen Filmschaffens?

Unstrittig ist: Als Schauspieler und Sänger war er ein Idol, wie es bis Mitte der Dreißiger kein anderes gab. Heesters, das war ein Mann, den die Frauen verehrten. „Du bist für die Frauen gemacht“, „sympathischer Gauner“, „Ich vertraue Ihnen“, „Du betrügst doch alle“ – so die fast programmatischen Floskeln, die man ihm in Filmen wie „Der Bettelstudent“, „Das Hofkonzert“, „Glück bei Frauen“ oder „Immer nur du“ entgegenbrachte. Heesters, der Mann, der im Frack einen Prototyp des machohaften Frauenverstehers gab, war eben kein pseudoschüchterner, semirenitenter Rühmann. Kein Willy Fritsch, ein wenig ölig und scheinsouverän, und kein Hans Albers, roh und sentimental zugleich.

Die Rolle des Begehrten von Frauen, die häuslicherseits nur Männer kannten, die bei ihren Leisten bleiben wollten, spielte er obendrein immer eine Spur distanziert – als sei jenseits seines darstellenden Handwerks noch ein echter Heesters verborgen. Ein Geheimnisträger der vielversprechendsten Art. In dieser Hinsicht war Heesters den Frauen seelennäher als jene Männer, die nur die Idee der Lebensfront und des Sturmlaufs durch deren Etappen verkörperten.

Heesters war insofern auch eine Vorform dessen, was später, angelsächsisch timbriert, ein Sean Connery werden sollte: ein James Bond, der sich als Mann stets ein bisschen unernst nahm und dem gerade deshalb die schönsten Frauen erliegen wollten – so einer verströmte nicht Schweiß und Tränen, sondern Abenteuerlust und Delikatesse.

Gerne wollte man ihm nach dem Ende des Nazihorrors alles nachweisen, was ihn diskreditiert hätte. Ein Foto etwa, das ihn bei einem Besuch des KZ in Dachau zeigt, galt jahrelang als Kronindiz gegen Heesters.

Nichts als Denunziation, soweit man weiß. Und eben dieses persilweiße Gewissen kam ihm auch nach dem Krieg zugute. Nahtlos, vollständig fugenlos setzte sich seine Laufbahn fort. Gerade das Fernsehen bemächtigte sich seiner, dort, auch am Theater, im Film, spielte er, als sei alles wie immer. Und wie er das tat: Heesters war das Symbol, dass nicht alles so schlimm gewesen sein konnte. Er blieb ein Mann der sauberen Hände, was nicht zuletzt sein weißer Schal anzeigte, den er in Operetten- und Filmrollen zu tragen pflegte. Heesters war so rein, dass das Publikum sich in ihm erkennen können wollte. Das war – man erinnere sich an die Kritik an DDR-verklärenden Shows – sein Beitrag zur Entnazifizierung: Seht her, ich bin anständig geblieben.

Er war die ein wenig fade Verkörperung dessen, was man selbst sein wollte: wenn schon nicht widerständig, dann wenigstens mit dem Wissen, nicht gekungelt, nicht gemachthabert und nicht karrieregeschmiert zu haben. Heesters war immer gut genug, um gerufen zu werden. Der brauchte keine Teegesellschaften mit Unteren oder Mittleren, um die Rollen zu bekommen, die er wollte. Das sind die Gründe, die ihn bis heute ungebrochen populär halten. Das ist es, weshalb alle wahrlich gut über ihn sprechen – vor allem Frauen. Er hatte nie etwas nötig, dieser Mann ohne böse Eigenschaften, was ihn freilich auch immer ein wenig steril wirken ließ – und eben den Unterschied zu jedem realen James Bond markiert hätte.

Die späte Heirat mit seiner 46 Jahre jüngeren Kollegin Simone Rethel habe ihn am Leben gehalten, sagte er angelegentlich. Sie gebe ihm die Ruhe, die er brauche – mit ihr habe er vor nichts Angst. Heesters, so versicherte Rethel in etlichen Zeitungsgeschichten, war ein Mann, wie sie ihn stets wollte. Ruhig, gelassen, eigen, jungenhaft und – viel wichtiger noch – unverbraucht allem Leben zum Trotz. Einer, der sie nicht zur Hausfrau machte und zur Dienerin seines Narzissmus, sondern sie eher an seinem Spiel mit den eigenen Eitelkeiten teilhaben ließ und den ihrigen ebenso anhing.

Ein Traummann, auch körperlich, einer, dem man ein so genanntes „Gardemaß“ attestierte, der gerade unter Scheinwerfern zu strahlen wusste. Körperlich fit selbst zu einem Zeitpunkt, da anderen seiner Geschlechtsgenossen nur Viagra einfällt. Auch in dieser Hinsicht ist Heesters einem modernen Manndarsteller wie Sean Connery ähnlich.

Wobei er sich, beispielsweise, coram publico während einer Theateraufführung mit seiner späteren Ehefrau Simone, ironisch selbst auf die Schippe nahm – und zwar mit den Worten, sie könne keine sexuelle Belästigung erwarten, dafür sei er zu alt. Da weiß einer, womit er besser nicht angibt. Rührend seine Bilanz vor zehn Jahren zum Neunzigsten, er habe gewisse Dinge hinter sich gelassen – die Konkurrenz mit Kollegen, das Buhlen um Anerkennung und die Gier nach Lob.