Wahlen von Putins Gnaden

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

„Der Unterschied zwischen den USA und Russland? In den USA stehen die Wahlergebnisse nach vier Wochen noch nicht fest, bei uns haben wir sie einen Monat im Voraus“, meint Grigori Jawlinski. Jawlinski ist Vorsitzender der Partei „Jabloko“, einer von zwei politischen Vereinigungen in der Duma, die demokratischen Mindeststandards im westlichen Verständnis genügen. Prompt präsentierte die Zeitung Nowaja Gaseta eine Woche vor den Dumawahlen unter Berufung auf verlässliche Qellen im Kreml und im Föderalen Wachdienst, einer Untereinheit des FSB-Geheimdienstes, die mit der elektronischen Auszählung betraut ist, die vorläufigen amtlichen Ergebnisse.

Vor der Fälschung

Kaum überraschend schneidet die Kremlpartei „Jedinnaja Rossija“ – „Einiges Russland“ (JR) mit 40 bis 43 Prozent als stärkste politische Kraft ab, weit abgeschlagen sind die Kommunisten mit 12 bis 15 Prozent. Jabloko und die westlich orientierte marktliberale Partei „Union der Rechtskräfte“ (UdR) landen mit rund 5 Prozent knapp über der Sperrklausel. Nach unabhängigen Erhebungen jedoch liegt das tatsächliche Stimmenpotenzial der Kommunisten bei weit über 30, das Jablokos zwischen 8 und 12 Prozent.

Die bei der Wahl dann durch die Auszähler „abgezweigten“ Stimmen sollen laut Nowaja Gaseta den Satellitenparteien des Kreml zugedacht sein. Mit dem Zuschlag kämen sie bequem über die Fünfprozenthürde. Eine dieser neu gegründeten Phantomparteien ist der Block „Rodina“ (Heimat) um den abtrünnigen Kommunisten Sergei Gljasew und Putins rechtslastigen Kaliningrad-Beauftragten Dmitri Rogosin. Dieser treue Putin-Helfer findet klare Worte dafür, was für ihn zur Wahl steht: „Russland muss sich entscheiden, was wichtiger ist. Internationale Verpflichtungen und Teilnahme an den Aktivitäten des Europarates, für den die Abschaffung der Todesstrafe eine heilige Kuh ist, oder die öffentliche Meinung Russlands und die Suche nach einem Weg, um Selbstmordattentate, Terrorismus und Drogenmissbrauch zu bekämpfen.“

Auch die Liberaldemokratische Partei des chauvinistischen Politzynikers Wladimir Schirinowski wird für ihre verlässliche Unterstützung des Kremls mit einigen Prozenten Zugabe bedacht. Schirinowski verbreitet Parolen wie diese: „Ein Mann für jede Frau und eine Flasche Wodka für jeden Mann“.

Bereits im Vorfeld der Wahlen versah der Kreml JR und potenzielle Koalitionäre mit besseren Startbedingungen. Europarat und OSZE rügten Russland daraufhin. Denn nicht zu übersehen war, dass in den gleichgeschalteten TV-Kanälen außer der Regierungspartei und dem parteilosen Schirmherrn, Wladimir Putin, niemand mehr zu Wort kam, der auch etwas zu sagen hatte. Stattdessen sorgten abstruse aus dem Boden gestampfte Parteien wie „Heilige Rus“, die Autofahrer oder Anhänger „Eurasiens“ in TV-Debatten für gähnende Langeweile. Unterhaltsam wurde es dann, wenn Wladimir Schirinowski vor der Kamera mal auf einen Gegner eindrosch.

„Gelenkte Demokratie“ heißt das Konzept, das Wladimir Putin seinem Land verordnet hat. Dem folgt selbstverständlich auch die Durchführung der Wahlen: Wo gelenkt wird, kann sich der Wähler nicht einfach frei entscheiden. „Einzige offene Frage ist, ob die Partei und ihre potenziellen Verbündeten die verfassungsverändernde Mehrheit von 301 Sitzen erlangen“, meint Juri Lewada vom Meinungsforschungsinstitut WZIOM-A.

Dann müssten sich der Präsident und seine Entourage nicht mehr den Kopf zerbrechen, wer 2008 Präsident wird. Eine Verfassungsänderung würde reichen, um Putin an der Macht zu halten. Nur darum dreht sich Politik in Russland noch. Für die nächsten Präsidentschaftswahlen, die am 14. März stattfinden sollen, wird sowieso mit einer Bestätigung des Amtsinhabers gerechnet.

Daher zeigen die Wähler auch kein Interesse an dem Urnengang. Die größte Partei dürften die Nichtwähler stellen, wie jüngst bei den Gouverneurswahlen in Sankt Petersburg. Dort konnte Wladimir Putin seine Kandidatin nur mit Hilfe der so genannten „administrativen Ressource“ im zweiten Wahlgang auf den Thron hieven. Diese Ressource besitzt in Russland magische Kräfte: Sie organisiert fehlende Stimmen, schafft Gelder heran, beseitigt aussichtsreiche Gegenkandidaten und vielerlei mehr. Der hohe Zuspruch Putins in der Bevölkerung lässt sich nämlich nicht auf JR und die Führungsetage im Kreml übertragen. Niedrige Wahlbeteiligung wäre ein Beweis, dass die Bürger in die den Präsidenten umgebende politische Elite kein Vertrauen haben. Schneiden bei niedriger Beteiligung überdies die Kommunisten noch gut ab, die als einzige Organisation in der Lage sind, die Genossen Pensionäre flächendeckend zu mobilisieren, böten Kreml und JR ein schwaches Bild.

Putin-Partei und KP

Deshalb richtet sich die Haupstoßkraft des Kreml in den letzten Wochen gegen die längst handzahme KP. Gegen sie wurde eine Diffamierungskampagne entfacht, die die KP aus heiterem Himmel traf und der sie hilflos ausgeliefert ist. Vorerst letzte Breitseite: Der im englischen Asyl lebende Räuberbaron und Oligarch Boris Beresowski finanziere die roten Veteranen, hieß es. Zusätzlich sind Emissionäre aus Phantomorganisationen in den Regionen mit dem Auftrag unterwegs, die Kommunisten bei ihrer Klientel zu verunglimpfen. Um Werbung von Wählern für die eigene Partei geht es dabei ausdrücklich nicht. Eine dieser Neugründungen ist die „Partei für soziale Gerechtigkeit“, deren Vorsitzender wie der Kremlchef aus dem Geheimdienst stammt.

JR ist keine Partei im klassischen Sinne, sie hat kein konzeptionelles Programm, stützt sich auf keine soziale Zielgruppe und verfügt auch über keine transparente Mitgliederstruktur. Sie wurde als Machterhaltungsverein gegründet, der Wladimir Putin den Rücken freihält. Denn der Präsident rückte in den Kreml ohne eine sichere Seilschaft auf. Ihr gehören vornehmlich Staatsbedienstete und Vertreter der föderalen und regionalen politischen Elite an. Weniger aus Überzeugung als aus Opportunismus und pragmatischen Erwägungen. Die JR übernimmt allmählich jene Funktionen, die in Sowjetzeiten die KPdSU bekleidete. Kurz: Sie verkürzt den sonst langen und mühsamen Weg zu den begehrten Fleischtöpfen.

Außer den Kommunisten verfügt keine der russischen Parteien über eine soziale Basis. Sich in der Zwischenwahlzeit um Wähler zu bemühen und Progammdiskussionen zu führen, ist den meisten wesensfremd. Es fällt weniger auf, da die Duma unter Putin keine eigenständige Kraft mehr ist. Heute beschränkt sich ihre Rolle vornehmlich darauf, Gesetzesvorlagen der Präsidialadministration abzunicken.

Show für den Westen

Der Wähler quittiert dies mit Desinteresse und sieht in den Abgeordneten weniger einen Repräsentanten seines Willens als einen Interessenvertreter in ureigener Sache. Die demokratischen Institutionen – Parlament, Gewaltenteilung, Medien und Justiz – sind unter der Ägide Putins gänzlich zu Potemkin’schen Dörfern verkommen. Demokratie ist in Russland nur noch eine Inszenierung für Zaungäste aus dem Westen.

Die entscheidenden Schlüsse über den Zustand der russischen Gesellschaft liefern nicht die Wahlergebnisse, sondern eher deren Randdaten. Was sagt die Wahlbeteiligung über Vertrauen und Stabilität des Regimes in der Gesellschaft aus? Wie groß ist der Zuspruch der radikalen nationalistischen U-Boot-Parteien mit Kreml-Unterstützung? Sind sie Gradmesser einer um sich greifenden gesellschaftlichen Verrohung, gar Vorboten eines autoritären Kurses ?

Sollten die demokratischen Parteien Jabloko und UdR den Sprung ins Parlament nicht schaffen, sei dies auch keine Katastrophe, meint Arseni Roginski, einer der Vordenker der Zivilgesellschaft in Russland, mit einem spitzbübischen Lächeln. Dann rücke die Geburtsstunde einer außerparlamentarischen Opposition in greifbare Nähe. Die Zivilgesellschaft könne durch den Zugang erfahrener Politiker nur gewinnen.