Gut ist, wenn es nicht schlechter wird

Russlands Jugend macht sich kaum Illusionen über eine bessere Zukunft und die Motive der Politiker

MOSKAU taz ■ Virtuos handhabt die blonde Frau gleichzeitig ihre Armani-Tasche, zwei Mobiltelefone und eine Zigarettenspitze mit einer Super Slim. Das Foyer des MGIMO-Instituts, der Kaderschmiede für russische Diplomaten in Moskau, verwandelt sich in den Unterrichtspausen in eine Bühne für die hauptstädtische Jeunesse dorée. Bei den Reichen und Schönen steht das Diplom der Anstalt – ein Freibrief für eine ansehnliche Karriere – hoch im Kurs. Zu erwerben ist es gegen hohe Studiengebühren und nicht ganz so hohe Anforderungen für die zahlende Elite.

Galina und Natalia haben den Sprung aus der Provinz an die Eliteanstalt auch ohne Geld und Beziehungen geschafft. Die 22-jährige Galina bereitet sich auf den klassischen Werdegang im Außenministerium vor. Die gleichaltrige Natalia träumt davon, „selbst etwas auf die Beine zu stellen“. Galina stammt aus einem strengen Elternhaus aus Woronesch. Bei den Duma-Wahlen wird sie für die Partei von Präsident Wladimir Putin, „Jedinnaja Rossija“ (JR), stimmen. Das sei für sie fast schon eine Rebellion gegen das Elternhaus, das streng kommunistisch wähle, lacht sie.

Trotzdem setzt Galina keine großen Erwartungen in die Kremlpartei. Diese, sagt sie, sei einfach ein Garant, dass das Leben nicht schlechter werde. Spricht daraus nicht ein recht bescheidener Pragmatismus? Ja, meint sie nach längerem Zögern. Selbständigkeit und zivile Verantwortung bräuchten noch zwei Generationen. Mehr könne man nicht erwarten. Dem stimmt auch der russische Jugendforscher Boris Dubin zu. Das Bildungssystem werde noch von sowjetischen Werten dominiert, klagt er.

Galina teilt ihre Ansichten darüber, welche politischen Fragen die wichtigsten sind, mit der Mehrheit der russischen Jugendlichen. Das Verhältnis zu Putin steht ganz oben auf der Prioritätenliste. Auch der Verlust der Großmachtrolle und das geringe internationale Prestige Russlands beunruhigen die jungen Leute mehr als die Missachtung der Menschenrechte und die unvollkommene Rechtspraxis. Je weiter weg vom aufgeklärten Zentrum, desto ausgeprägter treten nationale und kollektive Werte in den Vordergrund.

Junge und ältere Generation unterscheiden sich kaum in ihren Wertvorstellungen. 65 Prozent der Jugendlichen bezeichnen sich selbst als Vertreter demokratischer Prinzipien, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt. Fernab der städtischen Zentren aber erhält ein rechtsradikaler Politiker wie der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei (LDPR), Wladimir Schirinowski, unter jungen Leuten dreimal mehr Zuspruch als der liberale Boris Nemzow, Vorsitzender der Union der Rechtskräfte (UdR) und ein Vertreter der jungen Generation.

Russlands Jugend ist nicht unpolitisch und wird aktiver, meint auch Natalia. In der Studie der Ebert-Stiftung gibt ein Fünftel an, großes Interesse an Politik zu haben; über 45 Prozent sind durchaus interessiert. Immerhin 8 Prozent sind sogar selbst politisch aktiv. Doch die existierenden demokratischen Parteien stoßen bei der Jugend auf geringe Zustimmung. Wer als Jugendlicher etwas verändern will, der tritt in die Kommunistische Partei ein. Sie verzeichnet in Moskau erheblichen Zulauf, vor allem von Globalisierungsgegnern.

Natalia aber gibt am Sonntag einer liberalen Partei ihre Stimme. Welcher, das weiß sie noch nicht. Entscheidend sei es, dem Übergewicht der „Partei der Macht“, wie die Putin-Partei im Volksmund genannt wird, etwas entgegenzusetzen. Natalia wünscht sich, dass Russland im nächsten Jahrzehnt das Lebensniveau der EU erreicht. Wirtschaftlich, meint sie, sei das sogar zu schaffen. „Politisch habe ich da weniger Hoffnungen.“ KLAUS-HELGE DONATH