Stabilität und Brandschutz

Eine kunstvolle Sammlung und ihre Folgen: Der Documenta-Teilnehmer Mo Edoga restauriert seine Schwemmholz-Skulptur „Mannheimer Kugel“ und verändert dabei gewaltig deren Dimensionen

VON BRIGITTE STRAUB

„Ist Herr Edoga Deutscher?“ Und: „Ist Herr Dr. Edoga als Arzt in Deutschland zugelassen?“, wollte der Mannheimer CDU-Stadtrat Dr. Jens Kirsch in einer von seinem Fraktionsvorsitzenden Dr. Sven-Joachim Otto mit unterzeichneten Anfrage im Gemeinderat wissen. Hut auf! Denn damit wurde eine Geschichte, die zuvor die folkloristischen Züge einer Provinzposse trug, in den politischen Morast geritten: Bei Kirschs Anfrage ging es nicht etwa um arbeits- oder aufenthaltsrechtliche Probleme. Sie galten vielmehr einem Künstler und seinem Werk.

Dr. Mo Edoga, in Nigeria geboren, in Mannheim lebend, ist Arzt, Kunstprofessor und ein kommunalpolitisches Ärgernis. Er hatte vor rund 15 Jahren die „Mannheimer Kugel“ kreiert: eine Skulptur aus Schwemmholz, die viel Beifall in der Kunstszene fand und mit anderen Werken seinen Namen so weit über die Region hinaus trug, dass er 1992 zur Documenta IX nach Kassel eingeladen wurde. Die „Mannheimer Kugel“, seine Leihgabe an den „Kunstverein“ der Stadt, stand hinter dessen Pavillon am Carl-Reiß-Platz und gehorchte willig ihres Schöpfers Intention, „stilvoll zu altern und zu vergehen“. Darüber ward das Schau- und Glanzstück moderner Kunst allerdings seiner Schönheit beraubt. Deshalb sollte Edoga sie im Auftrag des Kunstvereins aufpeppen.

Das macht er seit Sommer. Er sammelt wieder Schwemmholz, vorwiegend aus dem Neckar, weil der „konsequent was bringt“, stürzt sich in „Bergungsarbeiten“ und „Transportstrategie“, um die „lückenlose Kreativitätsangelegenheit“ zu schultern. Und uferte dabei aus: Um die bisherige Kugel herum wächst eine neue „Himmelskugel“, und zwar um ein Vielfaches: Von etwa 6 auf rund 20 Meter Breite rundet sich die Schöpfung, in welche Höhen sie sich schraubt, ist noch gar nicht abzusehen. „Kern“ und „Himmelskugel“ stehen in einem Größenverhältnis wie, von hienieden betrachtet, der Vollmond zu einem einsamen Stern.

Weil aber nebenan ein Spielplatz liegt, fürchten Anwohner, dass Kinder auf der Himmelskugel herumturnen und sich verletzen können. Und da die Stadt Grundstückseigentümerin ist, steht der Amtsschimel vor einem Oxer von qualitätvollem Zuschnitt: Das Grünflächenamt hat das Kunstwerk mit Hinweisschild und Flatterband gesichert, das Bauordnungsamt ist eingeschaltet, das Rechtsamt prüft „Stabilität, Brandschutz und Verkehrssicherungsprobleme“.

Kulturdezernent und Bürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) sorgt sich zudem um die „Maßstäblichkeit“. Die Himmelskugel in der jetzt angelegten Form stutzt den Pavillon des Kunstvereins in der Tat auf die Ausmaße einer Hundehütte zurück. Deshalb ist der Kulturdezernent zwar „grundsätzlich froh“, mit Edoga einen renommierten Künstler zu beheimaten, der seine Stadt schmückt. Aber haltlos begeistern mag er sich nicht für dessen Wirken: Fragt man sich doch, „wie sich die Dinge entwickeln“.

Theoretisch steht das schon fest: Das Werk, sagt Edoga, „entwickelt sich wie Sprache“. In der er, nebenbei bemerkt, ebenfalls die ornamentale Linienführung bevorzugt: Er bringe „Dinge zusammen, die zusammengehören“. So versöhnt er, in einem Akt der „Ökodialektik“, „Kunst und Natur“. Die Himmelskugel verkörpere „spannungsgeladene Nachgiebigkeit“. Der zierliche Kunstprofessor, dessen Frisur mit der Stirnüberdachung ihn in eine Reihe mit den „Leningrad-Cowboys“ stellt, balanciert zwischen Ästen und Stämmen und schnürt sie mit gelben, grünen, schwarzen Bändern zusammen, die er „Ariadnefäden“ nennt. So reift, je nach Schwemmholzlage und Zeitbudget des Erbauers, ein Opus heran, das mit seiner fantasievollen Verknüpfung und skurrilen Form zweifellos für sich einzunehmen vermag – auch den Kulturdezernenten. Allein: die Dimension …

Die erweiterte inzwischen Dr. Kirsch mit seinen Fragen. Um Kriterien, die selbst einigen Angehörigen seiner Fraktion zu weit gingen. Parteifreunde distanzierten, Künstler und Politiker empörten sich und konterten Kirschs vorgeblich „haftungsrechtliche Gründe“ mit dem Vorwurf des Rassismus.

Eigentlich wollte auch Kulturdezernent Kurz auf die Kraft des Wortes setzen. Und mit den Kollegen der beteiligten Ressorts und Kunstexperten vor Ort im Gespräch mit Edoga eine Lösung finden. Die die Musenfreunde – die schon jetzt enthusiasmiert zum Reiß-Platz wallfahren – und die Anwohner – die gelegentlich derberes Vokabular für das Werk erübrigen – gleichermaßen zufrieden stellt. Fehlte dazu nur noch die Entschuldigung von Kirsch und Kollegen, doch die begnügten sich mit der Rücknahme der beiden Fragen.