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Eine aufmerksame, liebevolle Würdigung: „Wie es war“, Anne Atiks Erinnerungen an den Dichter und an den Menschen Samuel Beckett

Er schrieb so Sätze wie „Es gesagt zu haben, überzeugt mich vom Gegenteil“. So ist es vielleicht auch das Beste, wenn die Dichterin Anne Atik ihre mit „Wie es war“ betitelten Erinnerungen an Samuel Beckett eher anekdotenhaft hält. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem israelischen Maler rumänischer Herkunft Avigdor Arikha, verband Anne Atik eine jahrzehntelange Freundschaft zu Beckett, der 1969 den Literaturnobelpreis bekommen hatte, ohne dass er ihn persönlich entgegennahm, und 1989 starb.

Becketts Werk erfährt bis heute eine eher akademische Rezeption, ausgenommen vielleicht die beiden bekanntesten Theaterstücke aus seiner Feder, „Endspiel“ und „Warten auf Godot“. Es gibt ein paar Zeilen Becketts, die äußerst präzise sind, wenn es um die Erfassung dessen geht, was gemeinhin „künstlerischer Prozess“ genannt wird: „Wieder auf dem Sprung gegenüber dem unbezwinglichen Außen. Auge und Hand fiebernd nach dem Nicht-Selbst. Duch die von ihm unablässig veränderte Hand unablässig verändertes Auge. Zum Nicht-zu-Sehenden und Nicht-zu-Schaffenden vor- und zurückstoßender Blick. Ruhe im Hin und Her und Spuren dessen, was es heißt, zu sein und gegenüber zu sein. Tiefe wunde Spuren.“ Diese Zeilen sind betitelt: „Für Avigdor Arikha“.

In Anne Atiks „Wie es war“ finden sich die Entwicklungsstadien dieser Zeilen und darüber hinaus schlicht Erinnerungen an Beckett. Beim ersten Durchblättern fallen die Zeichnungen ins Auge, die Arikha von Beckett schuf: Samuel Beckett im Gespräch, 26. Juni 1983. Aber es sieht eher so aus, als ob er zuhört, und Anne Atik erzählt uns dies, wie „niemand so wie Beckett das Gefühl geben konnte, daß er einem wirklich zuhört“. Den einen oder anderen Abend schwieg er. Anne liest vor: „Wer wirklich schweigsam ist, bleibt still, wenn er etwas zu sagen hat.“ 1959 lernt Anne Atik Beckett kennen. Ihr späterer Mann Avigdor Arikha und Beckett sind drei Jahre zuvor eingeladen bei dem Lyriker Alain Bosquet, der dann alle Gäste ins Crazy Horse einlädt. Nach kurzer Inspektion suchen die beiden das Weite, indem sie bis acht Uhr morgens miteinander redend durch die Straßen wandern. Giacometti geht man dann auch schon mal aus dem Weg. Oder „Abende, die sich manchmal bis vier Uhr morgens ausdehnten, bei Wein und Whisky wechselweise, mit einigen Bieren abgerundet, und zur Krönung Champagner“.

Glaubt man Anne Atik, so hat Beckett bis ins hohe Lebensalter exzessiv getrunken. Sie erzählt aus der Nähe einer Freundschaft. Beckett nicht als Vertreter des Absurden Theaters (wie immer noch fälschlich behauptet wird), nicht als Sekretär von Joyce (wie immer noch fälschlich behauptet wird), sondern, und klingt es auch banal: als Mensch. Und Anne Atik erzählt nicht eigentlich. Sie fängt mit wenigen Worten Situationen ein. Manchmal telegrammartig, wie auch diese tagebuchartigen Notizen erst Jahre nach der ersten Begegnung beginnen und es sich ganz offensichtlich auch nur um eine Auswahl handelt. Die aber ist gelungen.

Anne Atik blättert die profunden Kenntnisse der Musik, der Malerei und der Dichtkunst dieses noblen Autors auf. Ein tiefgreifendes und so gar nicht hochstapelndes Buch. Postkarten und Briefe, meist nur wenige Zeilen. Die Zeichnungen ihres Mannes von Beckett, beim Schachspiel zum Beispiel. Alles sehr schön – nur eine literaturgeschichtliche Annotation möglicherweise. Dieser dem Schweigen zugeneigte Schriftsteller erfährt hier eine liebevolle und aufmerksame Würdigung. Zehn Jahre nachdem er die Laute beiseite gelegt hat, am 22. Dezember 1999, findet seine Übersetzerin Erika Tophoven auf seinem Grab „nur ein paar verwelkte Blumen – und eine Banane“.

VOLKER FRICK

Anne Atik: „Wie es war“. Erinnerungen an Samuel Beckett. Mit neun Zeichnungen von Avigdor Arikha. Aus dem Englischen von Wolfgang Held. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2003, 173 Seiten, 24,90 Euro