Freie Bahn für Putin

Die russischen Wähler haben denen eine Absage erteilt, die Russland zu einer westlich orientierten Demokratie formen wollen

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Die russischen Wähler haben den Gegnern des Präsidenten bei den Duma-Wahlen eine klare Abfuhr erteilt. Die Vertreter der Opposition bildeten am Wahlabend eine Einheitsfront wütender Verlierer. Gennadi Sjuganow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KPRF), konnte kaum noch an sich halten: „Sie nehmen alle an einem grauenhaften Spektakel teil, das einige auch noch demokratische Wahlen nennen“, fauchte der KP-Chef, den die kremlkontrollierten TV-Stationen gar nicht mehr beachteten. Mit 12,7 Prozent landeten die Kommunisten nach vorläufiger Auszählung zwar auf Platz zwei, büßten im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen aber die Hälfte ihrer Wähler ein. Sie werden in der neuen Duma die einzige Oppositionspartei sein.

Wie zu erwarten, erreichte die Kremlpartei „Jedinnaja Rossija“ (JR – „Einiges Russland“) mit 37,1 Prozent einen auf den ersten Blick fulminanten Sieg. Erstmals seit dem Zusammenbruch des Kommunismus erlangte die „Partei der Macht“ im Kreml auch in der gesetzgebenden Versammlung eine klare Vormachtstellung.

Die Union der Rechtskräfte (UdR) und Jabloko, die einzigen demokratischen Parteien nach westlichem Zuschnitt, scheiterten an der Fünfprozenthürde und gehören der Duma nicht mehr an. Boris Nemzow, Chef der UdR, verlor ebenfalls vor der Kamera die Contenance: „Für mich ist das Entscheidende, dass in der neuen Duma eine große Zahl von Nationalsozialisten sitzen werden“, meinte er bestürzt – da verbannte ihn auch schon ein Testbild aus dem Äther.

Mit dem Begriff „Nationalsozialisten“ spielte Nemzow auf die Gewinner vom Block „Rodina“ (Heimat) an, die aus dem Stand rund 9 Prozent erhielten. Das erst drei Monate alte Bündnis gilt als eine der U-Boot-Parteien des Kreml, die den Kommunisten mit nationalistischen, imperialen, sozialistischen und populistischen Slogans die Stimmen streitig machen sollte. Das Konzept ist aufgegangen.

Ein wenig überraschend ist der Zuwachs der rechtsradikalen Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR) des Politzynikers Wladimir Schirinowski. Sie legte von 5,8 auf knapp 12 Prozent zu. Immer wieder fallen Protestwähler auf den Schmierenkomödianten Schirinowski herein, der die Rolle des Oppositionärs in der Öffentlichkeit nur spielt. Die LDPR ist seit langem Stimmenbeschaffer für die Gesetzesvorlagen des Kreml, und dies unabhängig davon, wer dort das Sagen hat.

Die Wähler haben sich mehrheitlich für Parteien entschieden, die paternalistische Vorstellungen und nationalistische Positionen favorisieren. Das ist gleichbedeutend mit einer klaren Absage an all jene politischen Kräfte, die in den letzten zehn Jahren Russland auf einen westlichen Kurs bringen wollten. Unter Wladimir Putin spielten diese Kreise indes keine Rolle mehr. Die Politik des Kreml folgte dem Konzept einer „gelenkten Demokratie“, in der die Interessen der Bürokratie und Sicherheitskräfte die Linie vorgaben. Gesellschaftliche Kontrolle und Gewaltenteilung wurden vom Kreml Schritt für Schritt unterminiert und zurückgenommen.

Das Wahlverhalten zeugt von einer grundlegenden Verunsicherung der Wähler. Ergebnis ist die Zuflucht zu Law-and-Order-Lösungen. Angst in der Gesellschaft, bürokratische Willkür, Terrorismus und Krieg sind Erscheinungen, die sich unter Wladimir Putin verstärkt haben. Der Wähler empfindet dies offensichtlich anders. Er hält an einer Projektion fest, an die er glauben möchte. So gab eine Mehrheit der Bürger vor der Wahl an, die Vertreter der Kremlpartei JR hätten sich in den Fernsehdebatten von allen Bewerbern am besten geschlagen. Die Duma-Anwärter der JR hatten indes an keiner einzigen Debatte teilgenommen.

Die Kluft zwischen Politik und Gesellschaft hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht, was damit einhergeht, dass der Bürger vor den tatsächlichen Machtverhältnissen die Augen verschließt und zu radikalen Entscheidungen neigt. Wie weit sich Politik und Gesellschaft voneinander entfernt haben, zeigt das gewaltige Potenzial der Nichtwähler: Sie machen fast 50 Prozent der Wahlberechtigten aus. Ihr wichtigstes Motiv dürfte die Überzeugung gewesen sein, ohnehin nichts ändern zu können. Rechnet man noch die knapp 5 Prozent Wähler hinzu, die sich für den Kandidaten „gegen alle“ entschieden haben, ist der Zuspruch für das Regime mit 16 Prozent aller Wähler eher gering. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Popularität des Präsidenten, dem über 70 Prozent Vertrauen schenken, tut sich hier ein Widerspruch auf. Wenigstens für die Wahrnehmung im Westen, vielleicht nicht für Russland, wo immer noch der Glaube an den guten Zaren herrscht, dem die Untergebenen die Wahrheit vorenthalten.

Der Kreml hat das erste Etappenziel auf dem Weg zu den Präsidentschaftswahlen im März erreicht. Die neue Duma ist ein verlängerter Arm des Kreml und wird ihm zu Diensten sein. JR, Rodina und die LDPR verfügen in der neuen Duma voraussichtlich über 297 Sitze. Vier Stimmen würden dann noch zur verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit fehlen. Aber auch die lassen sich einkaufen. Und spätestens dann ist der Weg frei für eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten 2008 eine dritte Amtsperiode erlaubt.