BRASILIENS EXPORTSCHLAGER SOJA UND DER GENTECHKONZERN MONSANTO
: Die gewollte Ausbreitung von Roundup Ready

ENDE September hat der brasilianische Präsident „Lula“, Hoffnungsträger der Linken wie der Umweltschützer, das seit 1998 geltende Anbauverbot für Gensoja aufgehoben, wenn auch zunächst nur bis zur nächsten Ernte. Damit scheint das Kalkül des Agrarkonzerns Monsanto aufzugehen: Der Gentech-Riese hat in der letzten Zeit tatenlos zugesehen, wie sich viele Groß- und Kleinbauern an der Grenze zu Argentinien über das Anbauverbot hinweggesetzt und ihre Felder mit dem Monsanto-Saatgut Roundup Ready bestellt haben. Diese Sojasorte ist resistent gegen das ebenfalls von Monsanto hergestellte Herbizid Roundup. Die dafür fälligen Lizenzgebühren verlangt Monsanto nicht. Noch nicht.
Von JEAN-JACQUES SEVILLA *

Brasilien steht im Begriff, den Vereinigten Staaten den Spitzenplatz unter den Sojaexportländern streitig zu machen. Es ist das Einzige der drei Haupterzeugerländer, in dem die Aussaat transgener Soja-Varietäten bislang gesetzlich verboten ist.[1]Doch wie lange noch?

Der Monsanto-Konzern, der allein 80 Prozent des Weltumsatzes mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) macht, hofft nun – nachdem er so hart vom Bankrott Argentiniens getroffen wurde[2]– im Süden Brasiliens die Ernte seiner „Verunreinigungsstrategie“ einzufahren. Der Ausdruck stammt von der Agronomin Flavia Londres, die an der Spitze der Kampagne „Für ein genfreies Brasilien“ kämpft.

Im September dieses Jahres versprach Staatspräsident Luiz Inacio „Lula“ da Silva – Vorkämpfer für eine andere Globalisierung und großer Verbündeter der Umweltschützer –, das Problem der illegalen Gensoja-Pflanzungen im Grenzgebiet zu Argentinien auf wissenschaftliche und unideologische Weise zu lösen. Doch die Einlösung dieses Versprechens dürfte sich angesichts des fehlenden Personals in der zuständigen Abteilung des Landwirtschaftsministeriums[3]noch als schwierig erweisen.

In Argentinien hat es, anders als in Brasilien, nie eine öffentliche Debatte über gentechnisch manipuliertes Saatgut gegeben, so dass Monsanto auf dem dortigen Saatgutmarkt für Soja eine Monopolstellung erreichen konnte. Seit sechs Jahren schon wird Monsantos Roundup-Ready-Soja, die knapp die Hälfte des Konzernumsatzes erwirtschaftet, nach Kräften in die angrenzenden Bundesstaaten Brasiliens geschleust. Die Gensoja von Monsanto enthält Substanzen, welche die Pflanzen gegen das ebenfalls von Monsanto hergestellte Pflanzengift Roundup resistent machen. Das Rezept ist ganz einfach: Roundup vernichtet einfach alles, was auf dem Acker wächst, nur eben die manipulierten Roundup-Ready-Soja nicht.

Der brasilianische Präsident, dem ein in vielerlei Hinsicht höchst unangenehmes Erbe zugefallen ist, hat dem Parlament am 31. Oktober einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Schaffung eines Nationalen Rats für Biosicherheit vorsieht. Dieser soll aus zwölf Ministern bestehen und in letzter Instanz über alle GVO-Fragen entscheiden. Die heutige Umweltministerin Marina Silva war in der Zeit des legendären Umweltschützers Chico Mendes in der Gewerkschaft der seringueiros (Kautschuksammler oder Gummizapfer) aktiv. Mendes musste im Dezember 1988 sein Engagement für den bedrohten Regenwald im Amazonasgebiet mit dem Leben bezahlen.

Heute versucht Marina Silva von dem in der brasilianischen Verfassung verankerten „Vorsichtsprinzip“ zu retten, was noch zu retten ist. Nach dem vorliegenden Entwurf kann das Umweltministerium vor dem Bau von Versuchsfeldern und der Vermarktung transgener Pflanzensorten darauf bestehen, dass in einer Untersuchung die wahrscheinlichen Folgen abgeschätzt werden.

Nun wurde zum Berichterstatter über den Gesetzentwurf ausgerechnet der kommunistische Abgeordnete und bekannte GVO-Befürworter Aldo Rebelo ernannt. Das wird ganz sicher zur Folge haben, dass eventuelle Änderungsvorschläge, mit denen die Befugnisse des Umweltministeriums beschnitten werden sollen, leichter durchsetzbar sind. Überdies hat die einflussreiche Grundbesitzerlobby mit Agrarminister Roberto Rodrigues einen wichtigen Mann in der Regierung. Der ehemalige Präsident des brasilianischen Agrobusiness-Verbands besitzt im nordöstlichen Bundesstaat Maranhao selbst eine 4 000 Hektar große Soja-Plantage.

Damit war das Vorsichtsprinzip, als dessen Garant sich „Lula“ im Wahlkampf ausgegeben hatte, in einem wichtigen Teilbereich schon ausgehebelt. Unter dem Druck des einzigen Wirtschaftssektors, der bislang von der Rezession verschont geblieben ist, hob der Präsident das GVO-Moratorium im März dieses Jahres mit einer „provisorischen Verfügung“[4]auf. Das Parlament zögert nicht, die präsidiale Maßnahme gutzuheißen, und genehmigte die Vermarktung der laufenden Gensoja-Ernte.

Dieser Beschluss verstößt allerdings gegen rechtsgültige Gerichtsurteile. Denn auf Ersuchen von Greenpeace und der Verbraucherschutzorganisation IDEC (Instituto Brasileiro de Defesa do Consumidor) hatte ein Bundesrichter im September 1998 verfügt, dass die Aussaat von gentechnisch veränderten Varietäten bis zur Veröffentlichung eines regierungsamtlichen Umweltfolgenberichts auf staatlich kontrollierte Versuchsfelder beschränkt bleiben müsse. Eine weitere „provisorische Verfügung“, die am 25. September im brasilianischen Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, hat die einmal geschlagene Bresche verbreitert und das Anbauverbot für transgene Sorten bis zur nächsten Ernte aufgehoben wie auch deren Vermarktung genehmigt.

Um in den Genuss dieser faktischen Amnestie zu kommen, müssen Landwirte, die gegen das GVO-Moratorium verstoßen haben, einen so genannten Verhaltensanpassungsvertrag unterzeichnen, in dem sie sich verpflichten, das transgene Saatgut ihrer eigenen Ernte zu entnehmen.[5]Außerdem dürfen sie das legalisierte Gensoja nur in dem Bundesstaat verkaufen, in dem es angebaut wurde. Diese Bestimmungen dürften aber nur auf dem Papier stehen, denn wer gegen sie verstößt, dem drohen lediglich – und auch nur rein theoretisch – Geldstrafen und eine Kreditsperre bei den öffentlichen Banken.

Im Bundesstaat Rio Grande do Sul, dem Zentrum des Saatgutschmuggels, begrüßten die Landwirte, die auf Roundup Ready umgestiegen sind, die Entscheidung der Regierung mit einer Traktor-Demonstration. Der illegale Handel beschränkt sich inzwischen längst nicht mehr nur auf die südlichen Landesteile, die besonders stark „verunreinigt“ sind – wie stark, lässt sich mangels staatlicher Kontrollen nicht feststellen –, sondern greift in Erwartung einer irgendwann kommenden Legalisierung auch auf den Norden des Landes über. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums werden 13 bis 14 Prozent der nächsten Soja-Ernte auf transgene Sorten entfallen.

Präsident Lula – ein „transgener Politiker“

DIE Soja-Erzeuger in Rio Grande do Sul exportieren ihre transgene Soja ganz legal in andere Bundesstaaten. „Sie brauchen dafür nur die Warenzirkulationssteuer zu entrichten“, erklärt der Vorsitzende der brasilianischen Saatgutzüchtervereinigung, Iwao Miyamoto.[6]Die Caigangues-Indios im rund 400 Kilometer von Porto Alegre entfernten Cacique Doble verletzen das Genanbauverbot in den Indioreservaten vor den Augen der Öffentlichkeit. „Wir dürfen schließlich gegenüber den Weißen nicht benachteiligt werden“, erklärt ihr 22-jähriger Anführer Jacson Silveira.[7]Die Indiogemeinschaft baut seit drei Jahren auf rund 1 000 Hektar transgene Soja an.

Die Umweltschützer und ihre Verbündeten fühlten sich übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt, weshalb sie lautstark protestierten. João Pedro Stedile, Mitglied des nationalen Koordinationsausschusses der Bewegung der Landlosen (MST), bezeichnete den Staatspräsidenten als „transgenen Politiker“. Der Sozialist João Capiberibe, ehemaliger Gouverneur des Bundesstaats Amapa und langjähriger Kämpfer für eine nachhaltige Entwicklung im Amazonasgebiet, legte sein Amt als stellvertretender Führer der Regierungsparteien im Senat nieder. Der Abgeordnete Fernando Gabeira, Exguerillero und Gründer der grünen Partei, die er schon vor einiger Zeit verlassen hat, gab nun auch seinen PT-Parteiausweis zurück. „Mein Traum ist nicht zu Ende, aber ich gestehe, dass ich den falschen Traum geträumt habe“, sagte er in der Abgeordnetenkammer, als er sich aus der Fraktion verabschiedete.

In der Tat hat die Umweltministerin derzeit allerhand zu schlucken – nicht nur was genetisch manipulierte Pflanzen oder die Importerlaubnis für alte Reifen anbelangt, sondern auch mit Blick auf den Nationalen Entwicklungsplan für das Amazonasgebiet. Denn die darin vorgesehenen Infrastrukturarbeiten lassen jede Rücksicht auf mögliche Umweltschäden vermissen. Auch der Präsidentenerlass vom März dieses Jahres, der für Produkte mit einem GVO-Gehalt von über einem Prozent eine Kennzeichnungspflicht einführte, ist toter Buchstabe geblieben.

Weiteren Grund zur Unzufriedenheit fanden die Anhänger von Marina Silva, als auf Anweisung des Präsidenten der PT-Abgeordnete Paulo Pimenta aus Rio Grande do Sul zum Berichterstatter über die zweite „provisorische Verfügung“ ernannt wurde. Pimenta, der sich seit kurzem für eine völlige Freigabe von transgener Soja ausspricht, hat jüngst mit sieben anderen brasilianischen Parlamentariern an einer Besichtigung des Monsanto-Betriebsgeländes in Saint Louis, Missouri, teilgenommen. „Die Würfel sind längst gefallen“, kommentierte lakonisch Adão Preto, der als PT-Abgeordneter der südlichen Kleinbauern im Parlament sitzt.

Die Ölbauern des Rio Grande do Sul haben das „grüne Gold“ Brasiliens bereits in den 1960er-Jahren entdeckt. Heute steht Soja mit einer Gesamtanbaufläche von 20 Millionen Hektar auf Platz eins der brasilianischen Exportliste[8]und hat die fruchtbaren Böden von Parana und Mato Grosso do Sul, die Savannen des Zentralplateaus wie auch Amazonien bis nach Roraima, dem südlichsten Bundesstaat Brasiliens, erobert. Ursache dieser rasanten Ausweitung ist der Kursanstieg an der Chicagoer Börse, der durch die zweijährige Trockenheit in den US-amerikanischen Erzeugerregionen ausgelöst wurde. Für den Amazonas-Regenwald zeichnet sich damit nach dreißig Jahren Raubbau eine zusätzliche Gefahr ab: Sojakönig Blairo Maggi, der 2002 zum Gouverneur von Mato Grosso gewählt wurde, verkörpert den Erfolg des Amazonaspioniers. Als weltgrößter Einzelerzeuger fuhr er auf seinen Fazendas dieses Jahr 300 000 Tonnen Soja ein.

Wird die Entscheidung, was das Land produzieren soll, dem Markt überlassen bleiben, wie der brasilianische Landwirtschaftsminister prophezeit?

Auf dem 21. deutsch-brasilianischen Arbeitgebertreffen Ende Oktober in Goiania, der Hauptstadt des im Landesinneren gelegenen Bundesstaats Goias, wies die deutsche Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Renate Künast mit Entschiedenheit darauf hin, dass 70 Prozent der Deutschen gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen. „Wer transgene Erzeugnisse anbaut“, sagte sie, „wird sich an die strengen Regeln des europäischen Markts halten müssen.“[9]Große europäische Handelsketten wie Tesco in England oder die französische Kette Carrefour (die zweitgrößte Supermarktkette weltweit) haben schon 1999 auf gentechnikfreie Lebensmittel umgestellt. Nun sind allerdings auch die „gentecfreien Zonen“, die Carrefour in Brasilien eingerichtet hat, in Gefahr. Allein die Niederlande und Frankreich nehmen 50 Prozent der brasilianischen Ausfuhren an Sojakuchen ab, der in der Viehzucht verfüttert wird.

Monsanto hat das Terrain sorgsamst vermint. Der Konzern ist in den Vereinigten Staaten und in Kanada dafür bekannt, dass er den Bauern nachspioniert, was sie auf ihren Feldern anbauen. In Brasilien dagegen zeigte Monsanto wenig Eile, seine Privatdetektive auf die illegalen Roundup-Ready-Nutzer anzusetzen. Noch ist die Stunde nicht gekommen, von ihnen zu verlangen, was dem Patentinhaber zusteht: die saftigen Lizenzgebühren. Bis es so weit ist, verfolgt Monsanto seine Verunreinigungsstrategie mit landesweiten Werbekampagnen, die den Landwirten in der Zeit der Aussaat nahe bringen sollen, welch großartige Kosteneinsparungen die Biotechnologie ermöglicht.

Bereits 1997 hat der Gengigant mit dem staatlichen Agrarforschungsinstitut Embrapa ein technisches Kooperationsabkommen unterzeichnet, um gemeinsam eine ganze Palette an transgenen Soja-Varietäten zu entwickeln, die an die verschiedenen Böden Brasiliens angepasst sein sollen. Abgerundet wurde die vorbereitende Eroberung des brasilianischen Markts vor zwei Jahren mit der Einweihung der größten Monsanto-Fabrik außerhalb der Vereinigten Staaten. Das Werk in Salvador de Bahia produziert hauptsächlich Roundup-Ready-Soja. Zu den Anfangsinvestitionen in Höhe von 300 Millionen Euro steuerte der brasilianische Entwicklungsfonds für den Nordosten (Finor) 80 Millionen Euro bei.

Doch noch hat Monsanto nicht gewonnen. Mit überwältigender Mehrheit beschloss das Landesparlament von Parana am 14. Oktober dieses Jahres, „Anbau, Manipulation (mit Ausnahme genehmigter Versuchsfelder), Einfuhr, Herstellung und Vermarktung von GVOs“ bis zum 31. Dezember 2006 im gesamten Bundesstaat zu untersagen (Parana liegt an der Grenze zu Argentinien). Verschiedene Bauernverbände haben gegen das am 27. Oktober in Kraft getretene Verbot bereits Widerspruch beim Obersten Bundesgericht in Brasília eingelegt. Von dem Verbot betroffen ist vor allem auch der Hafen von Paranagua, über den das Gros der brasilianischen und paraguayischen Sojaexporte abgewickelt wird. Die ersten Schiffsladungen wurden bereits auf transgene Soja überprüft. Ein aussichtsloser Kampf zur Ehrenrettung oder erstes Anzeichen eines dauerhaften Widerstands?

deutsch von Bodo Schulze

* Journalist

Fußnoten:

1Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums wird Brasilien im Erntejahr 2003/2004 26 Millionen Tonnen Soja exportieren, die Vereinigten Staaten 23,7 Millionen Tonnen. Mit 67 Millionen Tonnen bleiben die USA jedoch der weltgrößte Soja-Produzent, vor Brasilien mit 60 Millionen Tonnen und Argentinien mit 37 Millionen Tonnen. Zusammen bringen die drei Länder 80 Prozent des weltweiten Soja-Angebots auf, für das der wichtigste Abnehmer China ist.

2Die Verluste belaufen sich auf 1,75 Milliarden Dollar, bei einem Gesamtumsatz von 4,93 Milliarden Dollar im Fiskaljahr 2002.

3Das Agrarministeriums verfügt landesweit nur über 2 700 Inspektoren.

4Eine „provisorische Verfügung“ tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft und muss vom Parlament innerhalb von 60 Tagen behandelt werden. Nach Ablauf dieser Frist kann die Verfügung bei gleicher Geltungsdauer nur einmal verlängert werden.

5Im Gegensatz zu transgenem Mais, dessen Ernte zur Wiederaussaat nicht taugt, kann transgene Soja – noch – als Saatgut verwendet werden. Allerdings hat Monsanto beim US-Landwirtschaftsministerium bereits die Genehmigung zur Vermarktung von steriler Terminatorsoja eingeholt.

6Folha de São Paulo, 20. Oktober 2003.

7Folha de São Paulo, 17. Oktober 2003.

8Der brasilianische Verband der Pflanzenölerzeuger (Abivo) rechnet im laufenden Jahr mit Ausfuhren im Wert von 8,36 Milliarden Dollar (12 Prozent der Gesamtexporteinnahmen) und erwartet im folgenden Jahr eine Steigeung auf 10,76 Milliarden Dollar.

9Gazeta Mercantil, São Paulo, 28. Oktober.