Angst vor Jobverlust, sauer auf Ausländer

Studie: Deutsche werden gegenüber Ausländern intoleranter. Und sorgen sich mehr um die eigene Existenz

BERLIN dpa/taz ■ Im Bundestag wurde gestern erneut über den Fall Hohmann diskutiert – und fast zeitgleich stellte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Ergebnisse der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ vor. Ein solcher deutscher Zustand ist: Kleiner denn je ist das kollektive Schuldbewusstsein für die deutsche Vergangenheit.

69 Prozent der Deutschen ärgern sich darüber, dass ihnen heute noch die Verbrechen der Nazis vorgehalten werden. „Das sind nicht alles Antisemiten“, sagte Wolfgang Thierse, denn der Befund zeige, dass ein Großteil dieser 69 Prozent aus der politischen Mitte kämen und auch Linke darunter sind.

Dennoch: Der Bundestagspräsident ist besorgt. Die Studie, die vor einem Jahr erstmals erschien, zeigt, dass Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in den vergangenen zwölf Monaten zugenommen haben. Durch Reformdebatten und Zukunftsverunsicherung würde „die Sehnsucht nach einfachen Antworten dramatisch forciert“. So sind 59,1 Prozent der Befragten der Meinung, in Deutschland gebe es zu viele Ausländer – fast 4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Und 36 Prozent der Befragten finden es „ekelhaft“, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. 29,2 Prozent – fast 8 Prozentpunkte mehr – fühlen sich in der Gegenwart von Behinderten manchmal unwohl. Gleichzeitig stieg der Anteil jener, die Angst vor Arbeitslosigkeit haben, von rund 20 auf rund 25 Prozent.

Besteht nun Gefahr für die Demokratie? Zumindest, so Wolfgang Thierse, bestehe ein „tiefgehendes Misstrauen gegenüber der Mühseligkeit demokratischer Abläufe“ – dies sei eine Gefährdung, aber auch eine „Phase der Bewährung“ für die Demokratie. Der Autor der Studie, Wilhelm Heitmeyer vom Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, hält die Zunahme von Intoleranz für besonders dramatisch, wenn sie schleichend vor sich geht. Weil sich die Haltungen dann verfestigen: „Verschobene Normalitäten sind gefährlich“, so der Professor.

Auch im Bundestag wurde gestern über antisemitische Tendenzen in Deutschland debattiert. Ausgelöst wurde die Debatte durch die Rede des – nunmehr fraktionslosen – ehemaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmannn, in der er antijüdische Ressentiments bediente und von den Juden als „Tätervolk“ sprach.

Verabschiedet wurde gestern eine gemeinsame Resolution aller vier Fraktionen, mit der das Parlament jede Form von Judenfeindlichkeit verurteilte.

„Antisemitisches Denken, Reden und Handeln haben keinen Platz in Deutschland“, heißt es in dem Beschluss. Mit Unterstützung des Parlaments soll im nächsten Jahr eine Europa-Konferenz gegen Antisemitismus in Berlin beschlossen werden.

THILO SCHMIDT