„Es wird der Altar des Vaterlandes“

In New York wird nächste Woche der Masterplan für das Ground-Zero-Gelände vorgelegt. Von Daniel Libeskinds Entwurf dürfte da nicht viel übrig bleiben. Ein Gespräch mit dem deutschen Gedenk-Künstler Horst Hoheisel über das amerikanische Bedürfnis nach einer Heldengedenkstätte in schönem Design

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Hoheisel, von Daniel Libeskinds ursprünglichem Entwurf für Ground Zero ist wenig übrig geblieben. Wenn kommende Woche der überarbeitete Masterplan vorgestellt werden wird, dürfte es noch weniger sein. Alle regen sich auf über die Entmüdigung des Architekten und die baulichen Veränderungen. Sie auch?

Horst Hoheisel: Nein.

Dann begrüßen Sie also, dass der Entwurf verändert wird?

Ja, das tue ich. Ich finde es auch in Ordnung, dass andere Architekten dabei sind. Sonst wäre es bei dieser monomanischen Geste geblieben. Es ist gut, dass über die städtebauliche Gesamtform gesprochen wird.

Es ist aber doch so, dass die Investoren die Diskussion bestimmen, oder?

Es wird ein Kompromiss. Wenn wir Pech haben, ein fauler. Aber ein Masterplan ist ein Masterplan und unterliegt Veränderungen. Jetzt werden eben die Wünsche der Auslober erfüllt.

Fürchten Sie dort auch die Oberhand der wirtschaftlichen Interessen über den Städtebau, die Architektur und das geplante WTC-Memorial?

Das Ganze wird von wirtschaftlichen Interessen dominiert werden. Sie sind doch das eigentliche Denkmal in Downtown, das Gedenken an den 11. September bleibt Anhängsel. Schon Libeskinds neue Wolkenkratzer sind ja alle höher als die Vorherigen. Das ist ein kapitales Zeichen, das herausragt. Das lässt sich Amerika nicht nehmen. Es bleibt kein Loch, keine Leere im kapitalistischen Symbol.

Sind die Veränderungsprozesse, die Ground Zero derzeit erlebt, nicht problematisch für den gleichzeitig stattfindenden Denkmalwettbewerb? Die symbolische Widerstands-Spundwand, die Fundamentreste der Twin-Towers, sie wird gerade zubetoniert.

Natürlich. Deswegen wäre mein Votum gewesen, mit dem Denkmal zu warten, damit die Künstler auf das tatsächlich Gebaute sinnvoll reagieren können – oder andersherum hätte man die Künstler in den Masterplan und die späteren Überarbeitungen von Beginn an mit einbeziehen müssen. Denn für die Kunst könnte gerade an diesem Ort der Interessenkonflikt zwischen Wirtschaft, Politik und Opfergruppen zum Stoff des Denkmals werden.

Sie haben selbst am Wettbewerb zum WTC-Memorial teilgenommen. Wissen Sie, auf welchem Rang Sie gelandet sind? An dem Mammutwettbewerb nahmen immerhin 5201 Künstler und Architekten teil.

Zum Vergleich: Ich habe zuvor, gemeinsam mit Andreas Knitz, an einem Wettbewerb für ein Rabin-Denkmal in Tel Aviv teilgenommen. Der wurde von der Jury eingeteilt in verschiedene Kategorien: in eine, was realisierbar ist, eine zweite, was gut, aber nicht realiserbar ist, und in eine dritte Kategorie mit lauter utopischen Vorschlägen. Wenn ich das übertrage auf das World Trade Center Memorial würde ich sagen: Ich lag bei den utopischen Entwürfen, die keine Chance auf Realisierung hatten.

Gehört das zum Hoheisel-Prinzip: Provokation und Utopie statt Realisierbarkeit? Ich denke da an Ihren Entwurf für das Holocaust-Mahnmal, wo Sie anregten, das Brandenburger Tor zu zerschreddern.

Ich will nicht provozieren, sondern vielmehr das Denkmal zum Denk-Mal machen. Und nicht zu dem staatlichen Monument wie es in New York gewollt ist. Meine Arbeiten sind bekannt geworden als Counter-Monuments – als Negativ-Denkmale – die zeigen sollen, dass das eigentliche Denkmal im Kopf und im aktiven Nachdenken passiert. Für New York gilt das Gleiche: In dem Entwurf lasse ich die Grube unberührt. Ich habe ein Namennetz – wie die Sprungnetze im Zirkus – über das gesamte abgesenkte Areal gezogen. Man muss von oben durch das Netz hindurchtauchen. Von unten sieht man es gegen den Himmel. An dem Namennetz hängen dann Mikrofone. Jeder Passant wird aufgefordert, Namen zu lesen oder etwas zu dem Denkmal zu sagen. Diese Namen und Worte werden von Lautsprechern am Antennenmast des höchsten Gebäudes der Welt, des Libeskind-Towers, amerikanisches Symbol für Freiheit, in den Himmel gesprochen. Niemand hätte die Worte gehört, aber sie wärer doch da. Die Idee war, dass die Leute alles sagen konnten – nicht nur die Namen, Opferverehrung machen, sondern auch was Kritisches, Freies, auch Wut und die Angst ausdrücken konnten.

Die Jury hat noch keine Entscheidung getroffen, sondern acht Entwürfe amerikanischer Künstler – darunter Michael Arads Wasserfall „Reflecting Absence“, Brooks/Baurmanns Lichtwolken, Lee/Lewis’ Stelen- und Steinpassagen oder Campbell/Neumanns grüner Hain – vorausgewählt. Wofür hat sie sich entschieden: für ein Mahnmal, ein Denkmal, eine Erinnerungsstätte?

Die Jury wollte eine Heldengedenkstätte, und sie hat sich für Entwürfe einer staatlichen Heldengedenkstätte entschieden. In New York soll eine Heldenverehrung zelebriert werden.

Der ganze Vorlauf und das Programm waren doch patriotisch überladen. Präsident Bush wollte ein patriotisches Symbol. Darauf haben sich die Künstler eingelassen, und die Leerstelle fast naiv mit dem ganzen Vokabular der Denkmale aus dem 19. Jahrhundert besetzt. Es wird der Altar des Vaterlandes. Statt zu zeigen, dass die Opfer ganz normale Alltagsmenschen waren, die dort zur Arbeit gegangen sind und Opfer eines Anschlags wurden. Das ist die Grausamkeit.

Glauben Sie, dass es für die endgültige Entscheidung noch Veränderungen geben wird?

Nein. Ich habe das Gefühl, dass man es so will. Es wird bei einem Motiv bleiben, das die eigentliche Geschichte zudeckt. Man will das Hässliche nicht zeigen, die Wunde in der Stadt heilen. Mir scheint, die Amerikaner wollen nicht an die Tat, den 9. 11. 2001, erinnert werden. Es entspricht ja auch dem amerikanischen Geschmack, dem Stil Bushs, und das Design wird durchgesetzt werden – mit ein, zwei Überarbeitungen abgemildeter Form vielleicht, um den Kitsch herauszufiltern.

Es werden doch die Namen der Opfer, Überreste der Gebeine, der authentische Ort und mehrere Gedenkräume zwar stilisiert, es wird aber auch erinnert.

Aber herausgekommen ist eine Disney-World des Erinnerns. Es gibt alles: das Wasser, den Hain, die Andachtsräume, die Lichter. Aber was ein Denkmal haben muss, fehlt. Es fehlt eine Haltung, eine Aussage. Kein Entwurf reflektiert eine Haltung zu dem, was geschehen ist. Kein Entwurf ist ein eindeutiges Symbol für den 9. 11.

Was könnte das sein?

Was hat der 9. 11. mit der Welt gemacht? Er hat sie grundlegend verändert, Wunden gerissen und neue Kriege begonnen. Dafür hätte man ein Zeichen finden müssen. Und man müsste die Leerstelle, diese Wunde in New York, aushalten, statt schön zu designen. Leerorte fordern mehr zum Nachdenken auf als Denkmale, die den Ort besetzen.

Die Jury und die Auslober wurden kritisiert, dass sie etwa Räume für unterschiedliche Nutzer – für die Opferhinterbliebenen oder Räume für normale Besucher – gestalten wollen. Eine merkwürdige Differenzierung.

Das ist doch absurd, diese Gedenkhierarchien. Jeder hat das Recht, dahin zu gehen und den Ort in gleicher Weise zu erfahren. Was jetzt kritisiert wird, ist die Folge dieser komischen Differenzierung schon bei der Auslobung. Die Einlassungen der Auslober, der Politiker und der Opfergruppen prallen jetzt aufeinander. Die Feuerwehrleute wollen eine eigene Gedenkstätte.

Warum haben sich die Künstler nicht über solche Vorgaben hinweggesetzt?

Beim Vorbereitungskolloquium haben einzelne Mitglieder der Jury sogar noch eingefordert –wie beim Vietnam-Memorial –,sich über die Vorgaben hinwegzusetzen und eine eigene Haltung zu entwickeln. Es ist was anderes herausgekommen, besonders bei den acht amerikanischen Finalisten.

Ist denn die intellektuelle Erfahrung unter Künstlern in Deutschland – vor dem Hintergrund vergangener Denkmaldebatten – ausgeprägter als in den USA?

Ich denke, wir haben eine andere, gebrochene Geschichte und reflektieren diese in Entwürfen oder Diskussionen. In den USA gibt es keine ähnlich gebrochene Geschichte. Der Entwurf von Göschel/von Rosenberg (Berlin) etwa geht genau darauf ein. Mittels einer Spiegelwand sollten die Reste des Anschlags, die Pfeiler und Ruinen reflektieren, was dort wirklich passiert ist und gleichzeitig reflektiert im Doppelsinn des Wortes dieser Spiegel das weitergehende Leben in Downtown. Das Bild des Schreckens und das des normalen Alltags werden eins. Oder Andreas Knitz: Der ist gar nicht auf das Denkmalsgelände gegangen. Er hat die Twin Towers als große schwimmende kubische Hüllen auf Pontons in den Hudson zwischen die Freiheitsstatue und dem World Trade Center gelegt. Das war ebenfalls utopisch und gar nicht weihevoll, wie die geplanten heiligen Hallen auf dem Gelände.

Wie vertragen sich eigentlich das laute, brüllende New York und das Memorial, wird das Downtown verändern?

Downtown wird dasselbe sein. Man fuhr auf die Twin Towers, später wird man auf den Libeskind-Tower fahren, um New York von oben zu genießen.

Das klingt zynisch.

(lacht) Nein, man besucht New York mit einer noch besseren Sicht.

Und die Ruhe unten in den Footprints?

Es wird nicht anders werden. New York gemeindet das ein. Die Weltstadt, das Leben holt sich das zurück. Da wird sich auch kein Künstler darüber hinwegsetzen können. New York schluckt das. Irgendwann, in der nächsten Generation, wird es ein Sightseeing-Point sein.