Schill war ein Glücksfall

Rechtspopulisten wie Ronald Schill scheitern nur vordergründig an ihrer persönlichen Pathologie. Ihr Problem: Die Kompromisslosigkeit als politisches Konzept macht vor nichts und niemandem halt

VON MICHA HILGERS

Die Partei der rechtsstaatlichen Offensive eine offene Psychiatrie? Und Ronald Schill ein außer Rand und Band geratener Django-Richter? Derartige Erklärungsansätze für das Ende der Hamburger Koalition sind so übersichtlich wie das Weltbild eben jener, die mit ihren Schwarzweißrastern kurzfristig Wähler an sich binden. Das bekannte Phänomen, dass Rechtspopulisten augenblicklich mit ihrer Selbstdemontage beginnen, sobald sie Einzug in bundesdeutsche Parlamente gehalten haben, erklärt sich nicht alleine durch Hinweise auf persönliche Psychopathologie.

Ob Schönhuber oder Freys DVU-Mannen, Schill oder selbst Jörg Haider, sie alle verorten früher oder später (meist jedoch früher) ihre ärgsten Feinde in den eigenen Reihen. Doch tatsächlich scheiterten Schill und die Seinen nur vordergründig an ihrer persönlichen Pathologie. Die ist nämlich buchstäblich Programm: klare Feindbilder, wie bei Schills Skandalbundestagsrede, die Auflösung von Ambivalenz zugunsten von Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Mobilisierung von Kriminalitäts- und Überfremdungsängsten und vor allem Ressentiments machen den Wahlerfolg aus. Und bestimmen auch bisher mit eiserner Logik die Selbstzerstörung rechter Aufsteiger.

Das Private ist politisch: Im Gegensatz zum profillosen Durchschnittspolitiker à la Olaf Scholz oder gar Narzissten wie Jürgen Möllemann, glaubt Schill an das, was er sagt. Er überzeugte über 19 Prozent der Hamburger Wähler mit der authentischen Kommunikation seines Ressentimentdreiklangs: Kleinbürgerliche Ungerechtigkeitsgefühle und die damit verbundenen Ohnmachtserlebnisse werden thematisiert, das Bedürfnis nach Wiedereinsetzung der Gerechtigkeit und Revanche stimuliert und in kompromisslose Lösungsvorschläge verwandelt. Weshalb es nicht wundert, dass diese Motive auch die politische Auseinandersetzung in der Hamburger Koalition und der Schill-Partei bestimmten.

Die Kompromisslosigkeit wird als politische Lösung angeboten. Und sie macht mit mit grimmiger Ironie weder bei außer- noch bei innerparteilichen Gegnern einen Unterschied. Giftgas gegen Geiselnehmer. Politisches und menschliches Gift gegen jeden, der sich einem in den Weg stellt. Die Unfähigkeit, Ambivalenz zu ertragen, Grautöne und Kompromisse zuzulassen jenseits einfacher Schwarzweißraster, steuern Schills Rachefeldzug gegenüber all jenen, von denen er sich ungerecht behandelt fühlt. Die gleichen Ressentiments, die zum Wahlerfolg führten, sind es jetzt, die seinen Niedergang herbeiführen.

Das Politische ist privat: Die vollständige Identifikation mit den rigiden politischen Konfliktlösungsmustern (die in Wahrheit keine sind) und die Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen, subjektive oder objektive Ungerechtigkeiten zu ertragen, motivieren Schill zum Rachefeldzug. Weil es keine persönliche Ohnmacht gegenüber Unrecht und Zurückweisungen geben darf, urteilte der Richter Schill gnadenlos. Und weil es keine persönlich erlittenen Niederlagen geben darf, richtet der Politiker Schill das Flammenschwert der Erpressung und Herabsetzung gegen seine Gegner.

Schill bleibt sich und seinem Wertsystem treu, das ihm seinen Wahlerfolg bescherte. Es ist die Maßlosigkeit der juristischen Urteile und der politischen Werte, die ihn subjektiv zum Amoklauf berechtigt. Dem Amoktäter ähnlich, zählt nicht das persönliche oder politische Überleben, sondern die Revanche, der Triumph über den Gegner, die Verwandlung von Schmach und Schande in finalen Triumph.

Der Fehler des Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) war die Idee, Schill einbinden und mäßigen zu können. Der Durchschnittspolitiker schließt von sich auf andere: Doch für einen Schill ist nicht etwa das politische Überleben Maxime eigenen Handelns, wie von Beust irrtümlich glaubte. Rechtspopulisten wie Schill machen keinen Unterschied zwischen Parteimitgliedern oder Koalitionspartnern, zwischen Gegnern, Feinden und Straftätern. Sie alle werden unerbittlich und mit Maßlosigkeit verfolgt.

Solange dieses Muster politischer Irrationalität und persönlicher Kränkbarkeit gilt, wird von rechtslastigen Politaufsteigern in Deutschland keine dauerhafte Gefahr ausgehen. Sollte jedoch ein rechter Robin Hood als Identifikationsfigur für den Kampf gegen Ohnmacht, Ungerechtigkeit und tiefen Groll gegenüber etablierter Politik neben persönlichem Charisma und Schläue auch ein gerüttelt Maß an Disziplin mitbringen – das meint die Aufschubsfähigkeit, mit der Rache warten zu können –, ist es aus mit zwanghaften Autodemontagen bei laufenden Kameras.

Vorbei ist es dann auch mit Bündnissen, die mehr oder weniger folgenlos für die politische Landschaft bleiben. Ronald Schill war ein Glücksfall. Weil er seinen Wählern die Destruktivität ihrer eigenen politischen Ideen demonstrierte. Das hat er bislang mit DVU- oder Republikaner-Landtagshaufen gemeinsam. Doch darauf wird man nicht immer hoffen dürfen.

MICHA HILGERS ist Psychoanalytiker in Aachen. U. a. von ihm: „Scham – Gesichter eines Affekts“, „Das Ungeheure in der Kultur“, „Leidenschaft, Lust und Liebe“, alle Vandenhoeck und Ruprecht