Damit Leistung sich wirklich lohnen kann

Schließlich geht es ja nicht darum, sich als radikal oder alternativ darzustellen: An den Universitäten protestiert die gesellschaftliche Mitte gerade gegen sich selbst

Zu den heute stattfindenden Demonstrationen gegen Sozial- und Bildungsabbau hat sich ein neues Bündnis zwischen streikenden Studenten und den Schulen, Gewerkschaften und Kindertagesstätten formiert. Traditionell haben Studierende sich seit 1968 mit den Modernisierungsverlierern oder Befreiungsbewegungen der Dritten Welt gegen die eigenen gesellschaftlichen Eliten solidarisiert. Doch seit nach dem linken Berliner Regierungswechsel erneute Desillusionierung in die Hochschulpolitik eingekehrt ist, haben sich von der maroden Hauptstadt ausgehend auch die politischen Koordinaten des studentischen Protestes verschoben.

Der moderate Tonfall der Protestierenden ist dafür nur ein Anzeichen. Denn in einer Rochade haben inzwischen auch die politischen Argumentationsmuster zwischen Studierenden und Regierenden gewechselt. Umstandslos haben die streikenden Studenten eine Strategie der großen Parteien nachvollzogen und für ihren Protest die Position der gesellschaftlichen Mitte vereinnahmt. Wie sich in Meinungsumfragen zeigt, offenbar mit Erfolg.

Nicht mehr der studentische Protest selbst, sondern die Folgen konzeptionsloser Hochschulpolitik zeichnen in der öffentlichen Wahrnehmung für Desorganisation und Unruhe in den Hörsälen verantwortlich. Seit selbst die Amtsträger der traditionell besonders bildungsfreundlichen Linksparteien in der hilflosen oder trotzigen Pose des muddling through ihre leeren Taschen nach außen drehen, haben sie erheblich an Ansehen eingebüßt. Dagegen kommunizieren die Streikenden genüsslich, dass sie sich gerade durch die Politik an einem zügigen und zielgerichteten Studium gehindert sehen.

Ob das für den Einzelfall nun stimmen mag oder nicht, in diesem Anliegen artikuliert sich eine selbstbewusste Leistungsorientierung, die sich auf einen breiten Konsens der gesellschaftlichen Mitte stützen kann. Seit sich zunehmend auch die besser verdienende Mittelschicht als potenzielles Opfer von Sparbeschlüssen erkennt, wächst hier die Bereitschaft, den hässlichen Paarreim von „Bildungsklau“ und „Sozialabbau“ in den studentischen Protestslogans zur Kenntnis zu nehmen.

Der studentische Drang zur Mitte hat zwei Gründe: Zum einen sind die Universitäten durch die restriktive Politik der staatlichen Ausbildungsförderung längst wieder zu einer Veranstaltung der Mittelschichten geworden. Zum anderen geht mit der Ausdehnung der postadoleszenten Lebensphase eine wachsende Übereinstimmung mit Wertauffassungen und Lebensstilen der Elterngeneration einher.

All das schlägt sich in den Protestformen unmittelbar nieder. Denn in der Mitte verbietet sich, die schrillen Töne der ewig überhörten Minderheit anzuschlagen. Und ohnehin zeigen die parteiübergreifend konstatierten finanzpolitischen Sachzwänge kein politisches Gesicht und lassen sich daher nur schwerlich als konkretes Feindbild adressieren und für die universitären Missstände haftbar machen.

Angesichts dessen wird für die Studierenden der Humboldt-Universität das Streikpostenstehen zur Wissenschaft an sich: „Wir werden schon die ganze Zeit angepflaumt. Das ist das Ärgerliche, dass man sich auch noch mit Studenten auseinander setzen muss. Wir meinen es doch nicht böse.“ Für sich genommen könnte diese Klage der studentischen Streikaktivisten genauso gut dem Berliner Kultursenator in den Mund gelegt werden. Denn keine Seite meint es in dieser neuen Auflage des Protests böse.

So lassen die Streikposten fast alle Hochschulangestellten passieren. Sie wollen ihre Aufgabe weniger als Provokation denn als bewusstseinsbildende Maßnahme verstanden wissen: „Warum wir nicht ganz kategorisch sind: Das soll ein Streik der breiten Studierendenschaft sein. Da finde ich es legitim, gemäßigt aufzutreten. Es geht ja nicht darum, sich als radikal oder alternativ darzustellen.“ Unwillkürlich kommt einem da Lenins böser Satz von der Bahnsteigkarte in den Sinn, die ein deutscher Revoluzzer kauft, bevor er einen Bahnhof besetzt. Doch die studentischen Streikposten berufen sich auf Common Sense und konstruktiven Dialog. „Wir machen intelligenten Protest“, erläutert das der Philosophiestudent Stefan Neumann.

Dieses Repertoire intelligenter wie dissimulatorischer Geschmeidigkeit steht aber mittlerweile auch der Gegenseite zu Gebot. So wurde einem studentischen Besetzer des Roten Rathauses der kumpelhafte Schulterschluss mit der gesellschaftlichen Mitte geradezu aufgeherrscht: „Der Leiter der Senatskanzlei war richtig nett. Der wollte wissen, wie wir die Lesung vorher fanden. Am Ende hat er mir sogar eine Zigarette angeboten.“ Früher hätte man in den reibungslos kurzen Besetzungsaktionen vielleicht nur bourgeoise Zaghaftigkeit oder ein unkritisches Verhältnis zur Macht erkannt. Doch die Stereotypen und Feindbilder klassischer Milieubindung lösen sich in diesem Protest der Mitte einfach auf.

JAN-HENDRIK WULF