Studenten: „Wir sind noch nicht dumm“

Rätselhafte Parolen, machtvolle Ansprachen und viel Regen: Rund 60.000 Studenten demonstrieren in Berlin, Leipzig und Frankfurt gegen Kürzungen an den Hochschulen. Im Januar soll der Protest weitergehen. Stoiber hält an Einsparungen fest

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Machtvoll. Das Wort hat man zuletzt bei Erichs 1.-Mai-Demonstration gehört: eine machtvolle Demonstration. 16 Jahre ist das her. Nun donnert es ein gewisser Michael Kronewetter von einer Rednertribüne herunter. „Wir sind nicht allein. Lasst uns diese machtvolle Demonstration kraftvoll bis zum Alexanderplatz weiterführen“, ruft er. Kronewetter, 33, ist von der „Antifaschistischen Linken Berlins“. Die Marschierer am Potsdamer Platz erdulden sein Geschrei. Sie ziehen nicht machtvoll weiter, sondern vergnügt. Freuen sich, ein paar Meter ohne Globalisierungsängste für ihre Sache streiten zu können.

Es ist der 13. Dezember 2003, 15 Uhr, auf der bestbesuchten von drei bundesweiten Studentendemonstrationen. Sie richten sich gegen Kürzungen an den Hochschulen. Die Studenten wollen verhindern, dass man ihnen demnächst fast überall Studiengebühren abknöpfen will. Über 30.000 sind in Berlin auf den Beinen, in Leipzig 20.000, in Frankfurt am Main enttäuschende 8.000. „Wir sind noch nicht dumm“, steht auf Transparenten. Viele haben sich ein rotes Banner an Jacken wie Hosen gesteckt: „Berliner Student“. Eine rätselhafte Protestlosung. Was soll sie bedeuten? Ein trotziges „Es gibt uns doch!“ Oder: „Aussterbende Spezies!“ Oder, jammernd: „Wir wollten doch eigentlich Karriere machen!“

Aber warum waren nur so wenig da? Knapp 60.000 von inzwischen zwei Millionen deutschen Studierenden? „Nein, das finden wir nicht. Es war ein relativer Erfolg“, sagt Klemens Himpele, Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren in Bonn. Mike Nagler, Landessprecher der sächsischen Studenten, hat eine Erklärung. „Es hat ja geregnet in Leipzig, die ganze Zeit.“ Er schimpft, wie seine MistreiterInnen aus Frankfurt und Berlin, aufs Wetter. Sie kritisieren es regelrecht, als sei es eine Gemeinheit, die sich die Regierung ausgedacht hat. Genau wie die Kürzungen, die diese an den Hochschulen vorhat.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat diese Politik erneut bestätigt. Deutschland muss seine Haushalte sanieren, meint Stoiber. Das macht Einsparungen auch an den Hochschulen nötig, sagt er. Und fügt an, ihm könne niemand vormachen, dass es nicht auch Effizienzreserven an den Hochschulen gebe. Soweit Stoiber, ehe er nach Berlin fliegt, um noch mehr Einsparungen von der Regierung zu verlangen, um das Vorziehen der Steuerreform zu finanzieren.

Klemens Himpele sagt dazu auf der Demo in Frankfurt Folgendes: Wer auf über 20 Milliarden Euro an Steuereinnahmen vezichten wolle, „der muss sich natürlich im Klaren sein, dass dieses Geld nicht mehr für Bildung oder Sozialleistungen zur Verfügung steht“. Himpele wendet sich gegen Steuernachlässe für Reiche, und dann fasst der Student der Volkswirtschaft in der Bankenstadt zusammen: „Deutschland ist so reich wie nie zuvor. Es ist genug Geld da, es steckt nur in den falschen Taschen.“

Derweil beklagt Jan Blumberger in Leipzig, dass das Wort „Wissensgesellschaft“ nur eine Hülse sei. In Wahrheit „fallen Wort und Tat weit auseinander“, sagt der Elektrotechnikstudent. „Die schlecht ausgebildeten AbsolventInnen aller Bildungsstufen werden die mangelhaft Qualifizierten von Morgen sein. Morgen aber ist unser aller Zukunft.“

Wie schätzen die Studenten ihre Demos ein? „Es war ein schönes Zeichen – aber im Januar muss es weitergehen“, sagt Klemens Himpele. Dann wollen die Studis auf der piekfeinen Königsallee in Düsseldorf demonstrieren. Machtvoller als diesmal.

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