Bitterer Schweißgeruch

Wir müssen alle Abstriche machen: Sieben Weißweine und zehn Rotweine aus dem Sortiment von Aldi im nüchternen taz-Festtagstest. Ergebnis: Die Erzeugnisse sind von erstaunlicher Homogenität. Um es höflich auszudrücken

VON RALPH BOLLMANN

Es ist ein Glaubenssatz, an dem keiner rütteln darf. In der Gemeinde der Aldi-Verehrer gilt jeder als Ketzer, der das Dogma auch nur leise bezweifelt. Wahre Fundis kündigen den Ungläubigen sogar die Freundschaft auf. Zwar hat jeder seinen eigenen Hausheiligen, bei dem einen ist es der heilige Kalifornier, beim anderen der heilige Rioja. Aber die frohe Botschaft ist immer die gleiche: In den Discount-Tempeln der Gebrüder Albrecht, und nur dort, gibt es göttlichen Wein zum christlichen Preis.

Diese spezielle Verehrung für den Wein hat sogar den Niedergang jenes „Aldi-Kults“ überlebt, dem sich urbane Besserverdienende auf dem Höhepunkt des Börsenbooms hingaben. Nachdem bereits sämtliche Markenartikel die Achterbahn des „In“ und „Out“ durchlaufen hatten, avancierte die Nicht-Marke zum angesagten Label. Der Frankfurter Eichborn Verlag reagierte fix und verriet dem Publikum schon 1998, wie sich aus den Produkten zum Pfennigpreis wahre Gourmet-Menüs zaubern ließen. In rascher Folge warf der Verlag rund 50 Ratgeber auf den Markt – vom Klassiker „Aldidente“ bis zum jüngsten Bändchen „Aldidente Fit und Schlank“.

So gut wie am Anfang verkaufen sich die Ratgeber aber längst nicht mehr. In der Rezession gehorcht der Aldi-Kunde nicht mehr der Mode, sondern dem Diktat der Not. Ohne den Glorienschein der Kultmarke erscheint das Sortiment wieder im kalten Neonlicht der Discount-Filialen. Die Zeit ist reif, auch die Weine ganz nüchtern in den Blick zu nehmen: Ist der Tropfen, der uns in Studententagen mundete, auch heute noch genehm – oder waren wir einst anspruchsloser?

Wie sagt man es höflich?

Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Der Geschmack der Weine ist, höflich ausgedrückt, von erstaunlicher Homogenität. Es fällt allerdings schwer, ihr gleichförmiges Wesen mit den rechten Worten zu beschreiben. Denn die Aldi-Brüder Theo und Karl Albrecht sind auf derlei Werturteile nicht erpicht. So musste das Internetportal „Wein-Plus“ vor Jahresfrist einen Test zurückziehen, der über die Tropfen des Discounters allzu harsch gerichtet hatte.

Darf man also von einem Bitterton sprechen, „der an Erbrochenes erinnert“? Oder vom Duft nach „gammeligem Kühlschrank“? Ist es erlaubt, einem Aldi-Produkt gar „Schweißgeruch“ zu attestieren? Oder sollte der Autor besser verheimlichen, dass er sich mit seinen Co-Verkostern spätestens nach der fünften Flasche nur noch fragte, welches der „weniger eklige“ Wein sei – und welcher sich im „trinkbaren Bereich“ bewege? Besonders niederschmetternd geriet die Bilanz, wie meist in deutschen Supermärkten, beim Weißwein. Obwohl heimische Winzer die besten Gewächse der Welt erzeugen und sie obendrein zu erstaunlich günstigen Preisen verkaufen, findet sich nichts davon in den Regalen der Discounter. Statt edlem Riesling nur schale Neuzüchtungen, deren Charakterlosigkeit durch den nachträglichen Zusatz von süßem Traubenmost verschleiert wird – mit dem Segen des deutschen Weingesetzes.

So darf Aldi einen Wein aus der belanglosen Großlage „Flonheimer Adelberg“ in Rheinhessen als „Auslese“ bezeichnen, obwohl er alle Merkmale dieses Spitzenprädikats vermissen lässt – bis auf das einzige, das objektiv messbar und laut Weingesetz zwingend festgeschrieben ist: den Fruchtzuckergehalt des unvergorenen Mosts, der sich durch den Einsatz hochgezüchteter Rebsorten mühelos erreichen lässt.

Über die Qualität sagt das rein gar nichts aus. Von jenem raffinierten Spiel aus Süße, feiner Säure und leichter Edelfäule, das eine gute deutsche Riesling-Auslese kennzeichnet, fehlt hier jede Spur. Zwar sind die besseren Gewächse erst von zehn Euro an zu haben, doch ist das Verhältnis von Preis und Leistung bei Aldi weitaus schlechter. Für 1,49 Euro, immerhin drei Mark, ist der Gegenwert gleich null.

Macht nichts, denn populärer als die deutschen Gewächse sind bei aufgeklärten Aldi-Kunden ohnehin die Weine aus Frankreich und Italien. Doch ist die Bilanz an diesem Punkt keineswegs erfreulicher. Den Chardonnay aus Burgund dominiert eine aggressive, unreife Säure, als handele es sich um eine Vorstufe zur Essigproduktion. Beim Soave mag es sein, dass er in jugendlichem Alter durchaus trinkbar war. Aldi-Nord verkauft aber noch immer den Jahrgang 2001, der bereits völlig überaltert ist und so flach wie bitter schmeckt.

Hoffnung verspricht allenfalls der preislich anspruchsvollste unter den Aldi-Weißweinen, ein Pinot Grigio aus dem Trentino. Leider war die Testflasche wegen Korkgeschmacks nicht zu beurteilen – wofür der Discounter ausnahmsweise nichts kann, war doch keiner der 17 Weine mit billigem Presskork verschlossen. Am massiven Naturkork freilich hält Aldi fest, obwohl Kronenkorken oder Schraubverschluss längst als bessere Wahl für Alltagsweine gelten.

Den Mut dazu bringt Aldi nur bei einem einzigen seiner Weine auf – beim süßen mazedonischen Kadarka. Und, siehe da: Das verrufene Gewächs entpuppte sich im Vergleich als angenehme Überraschung. Obwohl er dem persönlichen Geschmack der taz-Tester keineswegs entsprach, vergaben sie einmütig die Note „nicht fehlerhaft“. Einen trefflichen Grundwein für Obstbowle, da waren sie sich einig, könnte der Tropfen mit seiner hellen Farbe und den deutlichen Himbeeraromen abgeben.

Mittlerweile wirbt Aldi-Süd fürs Weinsortiment sogar mit einer üppig aufgemachten Broschüre, lässt gar den Weinkenner Markus Del Monego durch die Herkunftsregionen führen. Als wenig glaubhaft entpuppt sich indes die Eigenwerbung des Discounters („Aldi informiert“), seine Weine würden „im Ursprungsland ausgebaut und abgefüllt“. Warum versteckt sich der Abfüller des südfranzösischen Merlot hinter dem Kürzel „D-RP 907 098“, das eher auf Rheinland-Pfalz verweist? Wechselte der chilenische Cabernet, wie das Kürzel „D-BY 7269“ andeutet, erst im fernen Bayern vom Tank in die Flasche?

Freilich bürgt auch eine Erzeugerabfüllung nicht zwangsläufig für Qualität, wie der Aldi-Bordeaux beweist. Zwar weckt das Etikett des „Château Bel-Air“ Vertrauen. Der Wein, erfährt der Weinkenner dort zu seiner Freude, stamme aus einem Ort östlich von Bordeaux, wachse auf kalkhaltigem Lehmboden und enthalte zu gleichen Teilen die Rebsorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc. Doch leider hilft das alles nichts, wenn sich der fertige Wein so grün und unreif präsentiert wie dieser.

Die Kassiererin rät ab

Vom edleren Bordeaux, einem Cru Bourgeois aus dem legendären Weinort Pauillac, riet beim Testkauf schon die Kassiererin ab. „Sie wissen schon, dass das unser Teuerster ist?“, fragte sie beim Anblick des „Château Grand Duroc Milon“. Mit seinen Vanilletönen und einem leichten Aroma von französischem Weichkäse liegt der Wein mit dem klangvollen Namen zwar deutlich im trinkbaren Bereich, aber für einen derart dünnen und ebenfalls leicht unreifen Wein müsste man nie und nimmer 10,99 Euro ausgeben – es sei denn, man will bei notorischen Etikettentrinkern renommieren.

Da stach der kalifornische Ruby Cabernet, obwohl acht Euro billiger, positiv heraus. Jene muffig-unreifen Töne, die den meisten Aldi-Weinen zu ihrem zweifelhaften Charme verhelfen, fehlen hier fast völlig. Freilich werden die Weine der neuen Welt im Keller weit stärker bearbeitet, als es in Europa üblich ist. Mag sein, dass solche Verfahren auch bei diesem Wein zum Einsatz kamen. Große Anbauflächen und verlässlicher Sonnenschein tun ein Übriges, damit Erzeuger aus Kalifornien oder Australien die Supermärkte dieser Welt mit Weinen von gleichbleibender, wenn auch eintöniger Qualität versorgen können. Aus Europa mit seinen kleinräumigen Anbauzonen ist ein einzelner Wein in solchen Mengen dagegen kaum zu beschaffen, jedenfalls nicht in verlässlicher Qualität. Womöglich hat Aldi deshalb keine Wahl. Laut „Wein-Plus“ stammt in Deutschland jede fünfte Flasche Wein aus den Regalen des Discounters, und der gewaltige Umsatz verteilt sich auf wenige Dutzend Sorten.

Das mag erklären, dass am Ende nur 4 von 17 Weinen aus dem Sortiment von Aldi-Nord ganz knapp im trinkbaren Bereich lagen, also frei von eindeutig unangenehmen Geruchs- oder Geschmackseindrücken waren – persönliche Vorlieben nicht berücksichtigt. Wer solche Weine konsumieren will, muss fürwahr ganz heftig daran glauben. Schließlich wird der Dogmatismus nicht selten umso stärker, je schwächer die Basis eines Glaubenssatzes ist.