Heillose Vermischung

Von einer klaren Trennung zwischen Staat und Kirche ist Deutschland weit entfernt

BERLIN taz ■ So leicht wie Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac haben es deutsche Politiker nicht. Hierzulande müssen sich etwa die Länder Bayern oder Baden-Württemberg umständlich auf „abendländische Kulturwerte“ berufen, um ein Verbot des Kopftuchs an den Schulen zu rechtfertigen. Ob das Konstrukt die Billigung der Karlsruher Verfassungsrichter findet, ist höchst ungewiss.

Doch gerade die Konservativen haben sich die Misere selbst zuzuschreiben. Seit fast hundert Jahren kämpfen sie erfolgreich gegen die Trennung von Staat und Kirche, die heute in fast allen westlichen Industrieländern viel weiter fortgeschritten ist als hierzulande. Während Frankreich den klaren Trennungsstrich 1905 endgültig festschrieb, scheiterte dieser Versuch in Deutschland bereits mit den Beratungen über die Weimarer Verfassung.

Unverändert wurden die Kompromisse von 1919 ins Grundgesetz übernommen. So bezahlt der deutsche Staat noch immer Religionslehrer und kirchliche Professoren, ohne über Personal und Inhalte maßgeblich bestimmen zu können. Nur bei uns treibt das staatliche Finanzamt die Mitgliedsbeiträge kirchlicher Organisationen ein.

Für Einwanderungsgesellschaften taugt dieses Konstrukt immer weniger, das zeigte schon lange vor der Debatte übers Kopftuch das Beispiel des Religionsunterrichts. Die meisten anderen Länder haben den kirchlichen Bekenntnisunterricht, sofern es ihn je gab, längst durch ein konfessionell neutrales Fach in staatlicher Verantwortung ersetzt. Dort werden die Schüler über alle Religionen gleichermaßen ins Bild gesetzt, statt nur im Saft der eigenen Konfession zu schmoren.

Das Gegenteil geschieht in Deutschland. Hier versucht die Bildungspolitik, den Bekenntnisunterricht auf andere Religionen auszuweiten. Doch das scheitert schon an praktischen Problemen – so gibt es etwa im Islam gar keine zentrale Instanz, die ein solches Fach verantworten könnte.

Besonders krass zeigt sich das deutsche Defizit auch an den Hochschulen. So musste die Universität Tübingen zeitweise vier Theologieprofessoren samt Hilfspersonal weiterbezahlen, obwohl sie ihr angestammtes Fach gar nicht mehr unterrichten durften. Drei von ihnen hatten geheiratet, einer von ihnen hatte den päpstlichen Bann auf sich gezogen, weil er die falsche Lehrmeinung vertrat.

Doch in einem Punkt sind auch die Franzosen nicht ganz konsequent, und just bei diesem Thema gibt es prompt Ärger. Den fünf weltlichen Feiertagen stehen noch immer sechs christliche gegenüber. Jetzt fordern auch Juden und Muslime ihren Anteil ein, Chirac mag dem Wunsch nicht nachgeben – das erinnert stark an den deutschen Streit um Kopftücher und Kruzifixe. RALPH BOLLMANN