Reduce to the max

Wie überquellend voll sind derzeit doch alle Warenhäuser und Auslagen! Das ist traditionell die Zeit, sich zu überlegen, dass es eigentlich auch mit weniger ginge. Über das Abnehmen und Schrumpfen in diesen vorweihnachtlichen Tagen

„Versuche, jemandem die Hungerkunst zu erklären! Wer es nicht fühlt, dem kann man es nicht begreiflich machen.“ – Kafkas Ausruf in seiner Erzählung vom Hungerkünstler ist nachvollziehbar. Wer nimmt schon gerne ab? Schrumpft? Wird kleiner? Verschwindet – wie es dem Hungerkünstler in seinem Käfig geschieht – schließlich ganz? Das tut gewiss niemand gern. Es kann, Kafkas Erzählung handelt davon, ein grimmer Stolz im Abnehmen liegen. Aber da sind ja auch Freiwilligkeit und selbst auferlegtes Schicksal der Hintergrund. Jemandem aber, der nicht kleiner werden will, weiszumachen, dass darin auch eine Kunstform liegen kann, das ist schwierig. Wer es nicht selbst fühlt, dem kann man es nicht begreiflich machen.

Nur vor und dann noch einmal nach den Weihnachtsfeiertagen mag es ein klein wenig mehr Verständnis für die Hungerkunst geben. Wie überquellend voll sind derzeit doch alle Warenhäuser und Auslagen! Das ist traditionell die Zeit, sich zu überlegen, dass es eigentlich auch mit weniger ginge. Menschen, die die Hungerkunst propagieren, wird man zwar auch derzeit selten finden. Aber Frauen und Männer, die mit entschlossenem Gesicht verkünden, vor dem Fest noch schnell zwei, drei Kilo Speck abtrainieren zu wollen, die hat man schon gesehen. Gewisse asketische Vorstellungen haben in Erwartung der dampfenden Weihnachtsgänse stets Konjunktur. Die notorischen konsumkritischen Aufforderungen diverser Kirchen tragen ein Übriges dazu bei. Und dann fällt einem in diesen Tagen auch hier und da dieses seltsame Paradox der Werbezunft auf, mit immer größeren Buchstaben auf immer kleinere Konsumgüter hinzuweisen: Reduce to the max! Alles boomt an Weihnachten. Und doch könnten schrumpfende Bereiche – bestehen sie nun in Städten, Bauchumfängen, Kulturteilen oder Staatseinnahmen – gerade in dieser Zeit wähnen, Teil eines allgemeinen Booms zu sein.

Aber, wohlgemerkt! Es geht bei diesen Schrumpfungswünschen nur um Bewusstseinsphänomene und allerhöchstens um Übermaßabbau. Reales Schrumpfen findet niemand gut (außer bei Laptops und Multimediageräten). Auch Kafkas Hungerkünstler verschwand, so die berühmte Schlusswendung, schließlich nicht freiwillig. Er entwickelte die Hungerkunst aus einem einfachen Grund: „Weil ich in dieser Zeitung nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt.“ Vielleicht also sollte man an den Speisen etwas ändern. DIRK KNIPPHALS