Hirschel heißt meine Kati

Was so passiert, wenn eine in Istanbul lebende Deutsche eine Krimibuchhandlung führt und plötzlich selbst zur Detektivin wird: Esmahan Aykols haarsträubender Krimi „Hotel Bosporus“

Lassen wir die Literaturkritik beiseite: Esmahan Aykol, Türkin mit Wohnsitzen in Istanbul und Berlin, hat einen Krimi geschrieben. Eine Art Krimi jedenfalls, denn auch die Kriterien des Genres bedient dieser Roman nur unzureichend. Was ihn dennoch interessant machen könnte, ist sein großer Erfolg bei der türkischen Leserschaft. Seit seinem Erscheinen ist er etwa 6.000-mal verkauft worden. In der Türkei bedeutet das bereits einen echten Bestseller.

Was die türkischen Leserinnen (wenn man unterstellen darf, dass es vor allem Frauen sind) an diesem Buch so angezogen hat, war wohl dasselbe, was auch deutsche Frauen dazu bewegt, massenhaft Frauenkrimis unterschiedlichster Güte zu konsumieren: das Angebot ungewöhnlicher weiblicher Rollenmodelle. Darum hat man wohl auch geglaubt, diesen Roman ins Deutsche übersetzen zu müssen. Denn in diesem Fall ist das Rollenmodell eine Deutsche. Und ein kleiner Teil der Handlung spielt sogar in Berlin. Doch die hiesige Krimileserin wird wohl so einige Schwierigkeiten haben, Anknüpfungspunkte an diese Heldin zu finden.

Die Dame mit dem allein schon recht unwahrscheinlichen Namen Kati Hirschel lebt seit 13 Jahren in Istanbul und betreibt dort einen Laden mit Kriminalliteratur. In ihren frühen Vierzigern und Single, bringt sie noch immer reihenweise die Männer um den Verstand. Ein hinreißend aussehender Kriminalkommissar im Lacoste-Hemd, ein steinreicher kurdischer Mafioso und ein distinguierter Geschäftsmann bewerben sich nacheinander um ihre Gunst. Und dass Frau Kati sich die Freiheit nimmt, sich vom Kommissar (fast) im Stehen vögeln und vom Mafioso immerhin reichlich betätscheln zu lassen, schließlich die Geliebte des Geschäftsmanns zu werden und überhaupt allein zu leben, ist schon recht unerhört.

Diese Freizügigkeit in der Lebensführung (und der Kleidung) einer türkischen Heldin anzudichten wäre wohl skandalös erschienen. Bei einer deutschen dagegen hat es den Reiz des Fremdartigen. Zudem bietet dieses fremde Rollenmodell die hervorragende Gelegenheit, bestimmte kulturelle Eigenarten beider Seiten ins Visier zu nehmen. Doch Katis reichlich eingestreute Ansichten darüber, wie Deutsche oder Türken beziehungsweise Frauen oder Männer zu sein hätten, wirken aus der Perspektive einer vorgeblich Deutschen zumindest ulkig. Dazu gehört etwa die Bemerkung, wie jede Frau lasse sie stets den Mann das Restaurant auswählen, oder die einprägsame Charakterisierung des deutschen Mannes als „haarloser blonder Umweltfanatiker“. Ferner dürften türkische Leserinnen den Eindruck gewonnen haben, in Deutschland fände niemand etwas dabei, dem Postboten nackt die Tür zu öffnen. Die außer Kati auftretenden Deutschen sind fast alle ignorante Türkeihasser, die in Istanbul mit deutschem Geld bezahlen wollen und sich auch bei längerem Aufenthalt weigern, die Landessprache zu lernen.

Natürlich hat das insgesamt einen gewissen Unterhaltungswert. Mehr jedenfalls als der eigentliche Krimiplot, der so dilettantisch an den Haaren herbeigezogen wird, dass es kaum zu fassen ist. Und wenn man etwas über Istanbuls In-Schuppen erfahren will, leistet ein herkömmlicher Reiseführer sicher schneller und praktischer gute Dienste. KATHARINA GRANZIN

Esmahan Aykol: „Hotel Bosporus“. Roman. Aus dem Türkischen von Carl Koß. Diogenes Verlag, Zürich 2003, 287 Seiten, 19,90 Euro