Wo Blendwerk blinkt

Zur Weihnachtszeit wird nicht mit Strom gegeizt, ob in Berlin-Neukölln, am Ku’damm oder in den Weiten Kanadas. Die Weihnachtsillumination muss ja nicht gleich zigtausend Euro kosten. Hauptsache, es strahlt und glitzert. Damit man im Lichterglanz nicht so genau sehen kann, was das Dunkel verborgen hält

von JUDITH LUIG

„Happy Birthday“, mit schrillen Farben auf kleine Plättchen geschrieben, war mein erster großer Dekoterror. Sie bildeten das Tüpfelchen auf dem Geschenk zum Geburtstag meines damaligen Geliebten. Sie waren für die Partystimmung verantwortlich.

Als mein Freund um kurz nach zwölf aus dem Bad kam, warf ich die Dinger hoch in die Luft. Die Kerzen brannten auf dem Kuchen, die Plättchen schwirrten blinkend durch die Luft, landeten auf uns, und der Abend war wunderbar.

Die Beziehung allerdings schon lange nicht mehr. Ein paar Wochen später verkündete mir mein Freund, dass es zwar okay sei, dass wir miteinander schliefen, aber ansonsten solle ich mir in Bezug auf Emotionen nicht allzu große Hoffnungen machen.

Die Liebe war futsch, die Deko blieb. Sie verbarg sich in den Ritzen des Sofas, in den Knäuelfäden des Flokatis, zwischen Blättern auf dem Schreibtisch. Sobald die Plättchen – von denen ich im Nachhinein überzeugt bin, dass sie Schwermetall enthielten – die Chance auf Köperkontakt bekamen, klebten sie sich auf die Haut und wurden oft erst entdeckt, wenn sie ihren mintmetallgrünen oder knallblauen Schriftzug deutlich lesbar auf irgendein Körperteil tätowiert hatten.

Am Tag, an dem mir mein Bettgefährte erklärte, dass ebenjenes Bettteilen nun auch ein Ende habe, da er seit ein paar Tagen eine neue Freundin hätte, war ich wie betäubt. Wahrscheinlich merkte ich deswegen erst abends, dass ich den ganzen Tag ein Plättchen mit in der Strumpfhose herumgetragen hatte. Beim Ausziehen fiel das Biest von meiner Pobacke. Links, knapp unter der Hüfte, stand deutlich in Pink zu lesen: „Happy Birthday“.

Heute frage ich mich, warum ich das gemacht habe. Warum brauchte ich hundertfünfzig Plättchen, um meinen Glückwunsch zu verstärken? Wahrscheinlich habe ich einem schlichten „Alles Gute“ nicht genug vertraut. Und ganz ehrlich: Ich bin nicht die Einzige, die zur Übermarkierung neigt.

Eine Streusternchen-Tischdeko meiner Tante zum Beispiel fand einen ganzen Geburtstagsabend lang immer wieder den Weg in Kartoffelpüree und Mousse au Chocolat; eine Wurfladung kleiner schwarzer Hexen landete an Halloween in sämtlichen Partygläsern. Beides hatte aber nicht denselben erniedrigenden Erinnerungseffekt wie meine Schwermetallplättchen.

Leuchtendes Vorbild für die Deko-Offensive ist, wie so oft beim Thema Kitsch, Nordamerika. Brian Bates etwa, ein offenbar sehr reicher Privatmann aus Kanada, gab im letzten Jahr sechzigtausend Dollar zur vorweihnachtlichen Erhellung seines Grundbesitzes aus. Seine diesjährigen Kosten lassen sich noch nicht abschätzen. Angefangen habe das Vollilluminieren seines Hauses als alberner Wettbewerb zwischen ihm und seinen Nachbarn, erzählt er. Heute besuchen pro Tag zirka tausend Menschen den Lichterpark, der inzwischen um tausende Objekte erweitert ist. Eine Art Disneyland in extrem Hell. Die Vorbereitungen für Weihnachten beginnen bei Bates bereits im August. Wenn er dann nicht anfange, die ersten Kutschen und Regentonnen zu belichtern, sagt er, würde sein Zweihektarspektakel nicht rechtzeitig fertig.

Woher kommt Bates’ Wunsch nach dem Glühbirnenpark? Nach dieser total irrealen Gegenwelt? Kann er vielleicht mit dem Inhalt von Weihnachten nichts mehr anfangen? Der Geschäftsmann zögert und sagt schließlich: „Die Kinder, die sich so darüber freuen, sind der Grund dafür, dass ich den Park jedes Jahr größer wieder aufbaue.“

Längst gibt es solche Freuden auch bei uns. Weihnachten 2001 war Berlin von Lichtdesigner Andreas Boehlke mit 130 Kilometer Lichtgirlande geschmückt. Nachgebaut aus Lichtern, war der Ku’damm von Kreml, Eiffelturm, gigantischen Weihnachtsbäumen, winkenden Weihnachtsmännern und Nussknackern verstrahlt – ausgehend von vierzehn Kilometer Lichtschläuchen und 210.000 Glühbirnen. Boehlke sagte, so werde der Einkaufsbummel zum weihnachtlichen Event. Eine Lichttherapie der besonderen Art. Für die kommenden Jahre drohte Boehlke mit einem Lichttunnel. Aber da kam ihm wohl die Pleite der Stadt dazwischen.

Zwei Beispiele für etwas größere Offensiven als die Schwermetallplättchen, aber ihnen im Kern nicht unähnlich. Es geht darum, dem ganz normalen Alltag Festtagscharakter zu verleihen. Was nicht großartig ist, wird großartig überblendet. Mit besonders viel Bunt und Glitter wird gemeinhin etwas überspielt: soziales Elend, emotionales Elend oder am besten beides. Beliebt sind hier Lichterketten, die eigentlich einem Hochhausghettofenster etwas mehr Glanz verleihen sollten, tatsächlich aber meist das Gegenteil bewirken.

Die Sitte, ein Licht ins Fenster zu stellen, sollte ursprünglich Menschen, die im Dunkeln erst nach Hause kamen, den richtigen Weg weisen. Und eigentlich ist gegen eine flackernde Kerze, deren Licht sich in der Scheibe spiegelt, auch nichts zu sagen. Schlimm wird es erst, so meint man, wenn die grellen Lichtersterne im Technotakt blinken. Doch näher betrachtet hat diese Vertaktung einen humanen Hintergrund: Das sich bewegende Licht zieht die Aufmerksamkeit ganz auf sich, und der schnelle Wechsel von hell zu dunkel lässt gar nicht erst zu, dass von dem Licht das Umfeld beleuchtet würde und damit besser zu erkennen wäre. So erspart einem der blendende Blinkkrieg wenigstens den Einblick in die dahinter liegende Wohnung. Man guckt deutlicher hin, sieht aber weniger.

Insofern lässt sich mein Plättchenregen als ein Versuch deuten, mein Gefühl zu überspielen, dass mir die Sache entglitt. Als Versuch, meinen Freund von der eigentlichen Trostlosigkeit unserer schwindenden Beziehung durch manifestes Glittern abzulenken. Vielleicht simuliert das Geblinke ja nur ein natürliches Glitzern, an das man eigentlich gerne denkt. Die Reflektionen von Mondlicht in sanften dunklen Wasserwellen zum Beispiel. Oder das Glitzern von Morgentau in der Sonne.

Vielleicht werden durch die visuelle Aufnahme solcher Lichtspiele in unserem Hirn ja Glücksbotenstoffe freigesetzt. Wissenschaftlich erforscht ist das leider nicht. Und unwahrscheinlich ist es außerdem. Ebenso wie die Hoffnung, dass die künstliche Nachstellung dieser vermeintlichen Botenstoffproduktion etwas bewirkt. Sonst hätten meine Glitzerplättchen sicher mehr ausgerichtet.

All der Dekomist ist also eigentlich Quatsch. Ein Blendwerk, ein Zeichen, das schon auf gar nichts anderes mehr als auf sich selbst verweist. Die Lichterparks in Berlin oder anderswo sind nichts als Kitsch. Und Kitsch, hat der Soziologe Jean Baudrillard erkannt, ist nur die Objekt gewordene Variante eines Klischees. Ein lichtblinkend winkender Weihnachtsmann ist also ein Klischee von Weihnachten. Ein Pseudo-Objekt. Die Lichteroffensive ist eine Simulation, der krampfhafte Versuch, die kindliche tiefe Begeisterung für Weihnachten zu reanimieren. Vergebens.

Trotzdem: Wenn man in Berlin Unter den Linden langradelt, unter den festlich illuminierten Bäumen, dann ist das schön. Der Baumschmuck ist einfach und unaufdringlich. Er winkt einem nicht zu und er blinkt auch nicht plump vertraulich. Und wenn man schnell radelt, dann muss man die Freude über sein schneeweißes Licht auch mit niemandem teilen.

JUDITH LUIG, 29, ist Redakteurin im taz.mag