An der Wand hängt Wowi

Früher knüpften im Babelsberger Maskenstudio 70 Mitarbeiter Perücken für Defa-Filme. Heute ist die Leiterin auch die einzige Mitarbeiterin und arbeitet zunehmend für Privatkunden. Ein Ortsbesuch

VON MAREKE ADEN

Yvonne Joseph telefoniert. Sie sagt: „Die Füße sind nicht dran, die müssen noch dran.“ Joseph telefoniert. Abgetrennte Gliedmaßen gehören zu ihrem Geschäft. Sie ist Maskenbilderin in den Babelsberger Filmstudios. Sie stellt Dummies her. Wenn es schnell gehen muss, liefert sie erst die Dummies und dann die Füße einzeln nach. Ansonsten bastelt sie gerne auch für einen ARD-Tatort eine ordentliche Moorleiche. Oder eine ekelhafte Schussverletzung. Auf einem Arbeitstisch liegen allerhand Gliedmaßen und Endgliedmaßen.

Aber die Zeiten sind vorbei, in denen das Babelsberger Maskenstudio nur für Filme da war, in denen 70 Mitarbeiter der Defa gestikulierende Hände modellierten oder Perücken für den DDR-Film knüpften. Yvonne Joseph arbeitet allein, ab und zu mit Praktikanten und zunehmend für private Auftraggeber. Manche wollen Masken, die das gesamte Gesicht bedecken. Da wird Yvonne Joseph vorsichtig. „Sie könnten das ja auch für einen Banküberfall verwenden“, sagt sie diesen Leuten. Vorsichtshalber nimmt sie alle Personalien auf. Sie fragt auch nach den Motiven für die Warmschaummaskenanfertigung.

Ein Mann wollte einmal aussehen wie ein anderer. Sie hat Fotos von ihm mit seiner Maske und ohne. Es ist nicht einzusehen, warum der Mann aussehen wollte wie ein anderer. Nicht, dass er schön ist. Ein Allerweltsgesicht mit Hexenkinn. Aber mit der Maske, die ihn aussehen lässt wie ein anderer, ist er hässlich. Pausbackig mit Muschibart. Yvonne Joseph erklärt, dass der Pausbäckige von einer Frau verlassen wurde. Die soll jetzt mit der Maske des von ihr Verschmähten erschreckt werden. Ein Scherz. In Auftrag gegeben hat die Maske eine weitere Frau. „Ich habe nicht weiter nachgefragt“, sagt Yvonne Joseph. Man will vielleicht auch nicht mehr wissen.

Ein zaghaftes Klopfen. Herein schiebt sich der Pagenkopf einer Frau vom Typ der Bundespräsidentengattin Christina Rau. Schon wenig später sitzen Rokoko-Perücken auf dem Kopf und vor das Gesicht spannt Yvonne Joseph Schnabelmasken. Die Dame will zur „venezianischen Nacht“, einem Maskenball im KaDeWe. Sie hat von ihrer Schwester gehört, man könne in Babelsberg günstig bekommen, was man dafür braucht. Sie ist allerdings nicht sehr zufrieden mit den Perückenfarben, sie will ein grünes Kleid tragen und ihre Schwester ein bordeauxfarbenes. Yvonne Joseph ist aber auch in Stilkunde ausgebildet und streng: „Ich sage Ihnen gleich, im Rokoko trug man immer weiße, graue oder rosa Perücken“.

Das überzeugt die Frau. Am Ende liegen vier gelockte Kunsthaarwerke in ihrer Kiste, für Schwester, männlichen Begleiter und sich selbst und eine zur Sicherheit. Außerdem bekommt sie zwei Schnabel- und eine Fledermausmaske, einen Dreispitz und den Tipp, das Gesicht weiß zu schminken, die Lippen rot und den Schönheitsfleck im Dekolletee nicht zu vergessen. Zusammen kostet sie das 93 Euro Leihgebühr.

„Das kommt alles in den großen Topf“, sagt Yvonne Joseph. Sie sagt, sie glaube, dass es mit dem Filmstandort Babelsberg wieder bergauf gehen werde. Gerade seien ja 6.000 Komparsen für „In 80 Tagen um die Welt“ gecastet worden. Und von denen würden schon einige Bärte brauchen, wie man sie Ende des 19. Jahrhunderts trug. Aber die privaten Aufträge für „venezianische Nacht“, „Pyrmonter Wundergeläuf“, Laientheater oder eben den Überraschungsauftritt als Exfreund sind inzwischen wichtig für die Finanzierung des Studios. Manchmal kassiert sie auch mehr als 93 Euro. An einer Warmschaummaske arbeitet Joseph eine Woche und kann sie entsprechend berechnen.

Von Film und Fernsehen kommen nur noch 40 Prozent der Aufträge. Joseph findet auch alle anderen kurios: Die Maske für den volllippigen Fisch, ein lebender Werbeträger für den Hamburger Fischmarkt. Die Nachbildungen des Kopfes einer Künstlerin, in guillotinierter Form, für deren Ausstellung „Menschenopfer“.

Die Prominenten, die in Filmstudios normalerweise mit historischer Haarpracht und Körperteilen für die Stunts versorgt werden, sind Yvonne Joseph egal. Sie kann sich an die Namen ohnehin nicht erinnern. In der Ecke liegt der Kopf von, wie hieß er gleich, Schauspieler Roman Knitzka herum und an der Wand hängt zwischen einem Totenkopf und einer Gruselmaske das Gesicht des Berliner Regierenden Klaus Wowereit. Für eine Parodie, aus Gummi und deswegen sehr entstellt. Damit hat es sich auch schon mit der Berühmtheit hier an der Marlene-Dietrich-Straße.