Die sanfte Emanzipation im Netz

Beim 20. Fachkongress des Chaos Computer Clubs sind die Frauen aktiv. Mit einem eigenen Verein wollen die Haecksen dem männlich dominierten Hacker-Club ein weibliches Chaos entgegensetzen

VON MARTINA WAGNER

Eine endlos lange Schlange von jungen – vornehmlich männlichen – Menschen mit Rucksäcken und rechteckigen, flachen Taschen steht vor dem Berlin Congress Center am Alexanderplatz – und das am frühen Morgen. Nein, hier gibt es keinen Glühwein umsonst, sondern glühende Datenleitungen!

Computerenthusiasten aus der ganzen Bundesrepublik stehen am ersten Tag des 20. Fachkongresses des Chaos Computer Clubs (CCC) geduldig an, um drei Tage lang Workshops, Seminare, Lesungen über praktische und theoretische Folgen von Informationstechnologien, Computersicherheit und Vernetzung zu besuchen. In den langen Rundgängen des Congresscenters sitzen bereits jede Menge Datensüchtige vor ihren mitgebrachten Laptops. Eine Menge Computerfreaks lauschen andächtig im Saal 1 dem Einführungsworkshop: „Wie überlebe ich drei Tage Kongress? Was kann ich tun, wenn mein Tischnachbar nicht mehr wach wird?“

Im Erdgeschoss, wo sich das Hackcenter befindet und die verschiedenen Regionalgruppen grüppchenweise computern, führt ein kleiner Gang zu einem abgetrennten Raum, der von den männlichen Besuchern, gemieden wird: Der „Haecksenraum“ ist für Hackerinnen und ihre Sympathisantinnen. Drinnen wirkt es sehr gemütlich, das Licht ist gedämmt, eine Sofareihe lädt zum Plaudern und Ausruhen ein, Gebäck steht auf dem Tisch, und es wird Tee gekocht. Auf einem Sessel thront Wiebke mit ihrem Mac auf dem Schoß. Sie ist Medieninformatikstudentin aus Bremen und zum ersten Mal mit ihrer Freundin aus Spandau hier. Beide loggen sich in die Hackline ein und finden das Ganze „total spannend“. Mädchen und Frauen aus München, Oldenburg, Hamburg, Studentinnen, Designerinnen, Soziologinnen diskutieren hier über Technik, Visionen und Politik. Dazu gibt es im Haecksenspace Vorträge, nicht nur für Anfängerinnen, sondern auch für die fortgeschrittenen Computerspezialistinnen: von Löten über Linux bis zu PGB – eine Verschlüsselungssoftware, die speziell für E-Mails gedacht ist, aber auch zur Verschlüsselung von „gewöhnlichen“ Dateien benutzt werden kann.

Die Gespräche sind hier durchaus fachspezifisch – es geht um „Mailer“, „Phasenprüfer“ und „Trenntrafos“. Aber hier darf man fragen und Fehler machen, und die Stimmung ist lockerer als „draußen“ bei den Männern, von denen sich die Frauen die Tastatur nicht aus der Hand nehmen lassen wollen.

Tina Lorenz, Studentin aus Berlin, ist 22 Jahre alt und Organisatorin von haecksen.org. Die Computerleidenschaft ist bei ihr „relativ spät erwacht“. Sie war etwa 16, als sie gemerkt hat, dass man mit Computern auch noch andere Dinge machen kann, als nur Briefe schreiben. Vor drei Jahren wurde sie Mitglied im CCC Berlin und wunderte sich, dass es so wenig Frauen gab. Sie hatte dann von den Haecksen erfahren: eine Gruppe von Frauen, die Ende der Achtzigerjahre aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs entstanden ist. Eine der Gründerin, die Bielefelder Medienkünstlerin Rena Tangens, ist ebenfalls auf dem Kongress: Sie stellt ihre Arbeit beim Verein FoeBud vor, der unter anderem den Big Brother Award verleiht.

Im realen Leben sehen sich diese Frauen selten. Aber sie haben mindestens ein gemeinsames Ziel, trotz ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Beschäftigung und Motivation: Ihr Ziel ist weder die Weltherrschaft, noch ist es ihr Wunsch, in irgendeiner Weise Männer zu unterdrücken. „Wir finden es nur schade, dass die Begriffe Mädchen und Technik immer noch nicht so selbstverständlich zusammenfließen, wie es wünschenswert wäre“, sagt Tina. „Frauen sind größtenteils schüchtern, wenn es um den Umgang mit Computern geht. Viele lassen sich lieber die Verantwortung aus der Hand nehmen, als selbst was zu lernen.“ Doch mittlerweile gibt es Erfolgserlebnisse, wie beim diesjährigen Computerworkshop in der Uni Aalen mit technikbegeisterten elfjährigen Mädchen oder mit Lizzy-Net, einer Kölner Initiative für „Schulen ans Netz“.

„Ein Großteil der Haecksen ist auch im CCC, das ist unser großer Bruder und dem fühlen wir uns auch verbunden“, erklärt Tina. „Wir möchten aber auch Hierarchien abschaffen. Und das geht nur, wenn wir mehr werden, so dass Mädchen so selbstverständlich werden wie Jungs und wir nicht mehr als Erstes zu hören bekommen: ‚Wo ist denn dein Freund?‘ Und dann: ‚Geh doch stricken!‘ “ Tina sieht ihre Funktion darin, dem männlich dominierten Computer Club ein weibliches Chaos entgegenzusetzen.

Um auf eigenen Beinen zu stehen, wird nun der Haecksen e.V gegründet – frei nach dem Motto „Computerinnen aller Bundesländer vereinigt euch“. Für das kommende Jahr sind zahlreiche Aktionen geplant, ganz ohne männlichen Support. Es scheint zu funktionieren – die sanfte Emanzipation im Netz. Denn „das Chaos ermöglicht herrschafts- und vorurteilsfreie Kommunikation innerhalb flexibler geknüpfter Netzwerke“, sagt Tina.

Deshalb organisieren die Haecksen neben ihren femininen Projekten auf dem Congress aber auch „Massage für Männer“ – ein Fortbildungsworkshop nur für die Y-Chromosomen. Frauen dürfen draußen bleiben. Und im großen Hörsaal referiert am letzten Congresstag Ingeborg-Bachmann-Preisträger Peter Glaser aus seinem Erzählband über „Die zutiefste Wahrheit über PI, Windows und die Liebe“ – versöhnlich und relevant für alle Geschlechtskonfigurationen.