„Wir mussten nach Masse schielen“

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Doetz, finden Sie es eigentlich o. k., wie Sie den Geburtstag des Privatfernsehens für Ihren Sender ursurpieren?

Jürgen Doetz: Sat.1 ist am 1. Januar 1984 auf Sendung gegangen. Von daher ist die Geschichte 20 Jahre Privatfernsehen eben eine Geschichte 20 Jahre Sat.1. Die Kollegen aus dem Ausland, aus Luxemburg, haben wir dann später herzlich begrüßt – aber eben als Zweite.

Am Anfang stand ein Keller in Ludwigshafen. Sie kamen damals von der Zeitung „Rheinpfalz“.

Ja, wir starteten als kleiner Teil eines Pilotprojekts in der bedeutenden Medienmetropole Ludwigshafen. Dass wir damit die gesamte deutsche Medienlandschaft umbauen würden, haben wir nicht geahnt.

Wie fernsehtauglich: Von den Kellerkindern zum „Wunder von Ludwigshafen“.

Dummerweise lag noch ein ganz anderes Drehbuch von Anfang an fest: Es gab damals ja zwei starke Interessen, die sich um die eine zur Verfügung stehende Satellitenfrequenz balgten: Die Zeitungsverleger – und Leo Kirch. Die Medienpolitik war gefragt, mochte sich aber nicht entscheiden – also wurden wir zwangsverheiratet, und das Ergebnis dieser Liaison war Sat.1. Und eben auch der Anfang des Gesellschafterstreits, der dann später in der Geschichte Springer gegen Kirch kulminiert ist. Das hat die Geschichte von Sat.1 ja bis zur Insolvenz der Kirchgruppe geprägt.

Am Anfang hatte das Privatfernsehen doch wohl andere Sorgen als Springer gegen Kirch?

Klar: Wir brauchten Inhalte, und wir mussten aus diesem Kabelghetto in Ludwigshafen raus. Das war sicher noch nicht das neue Fernsehen, sondern eher der Versuch, mit bekannten Erfolgsprogrammen einigermaßen Zuschauer zu mobilisieren. Entsprechend belächelt wurden wir von den öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Im Programm nudelte man Angestaubtes aus Leos Filmarchiv ab. Inklusive klassischer Konzerte, Kirchs großem Hobby !

Sie fordern doch sonst immer mehr Mut zur Qualität! Im Ernst: Am Anfang waren wir natürlich sehr stark geprägt durch den Keller von Leo Kirch. RTL, die kein Filmlager und damit keine Lizenzware wie Spielfilme und US-Serien zur Verfügung hatten, experimentierten rum. Aber wenn man den damaligen RTL-Slogan „Erfrischend anders“ ernst nimmt, diesen Ruf, neue Ideen auszuprobieren – das stimmte schon.

Trotz Kirch-Keller hat RTL dann Sat.1 überholt und ist bis heute Marktführer im Privatfernsehen. Ballt man da die Faust in der Tasche?

Man ballt öfter mal die Faust in der Tasche. Meine ist zum Beispiel schon seit Jahren geballt, weil wir im Informationsbereich recht bald unsere Führungsrolle an RTL verloren haben. Und das wir – gerade mit dem Hintergrund von Sat.1 – hier nicht mehr Kompetenz aufbauen konnten. Das ärgert mich immer noch.

Sat.1 hat sich mit Politformaten wie „Zur Sache, Kanzler!“ doch auch viel zu sehr an die Union rangeschmissen.

Das sehe ich anders: Gut, die Unionsländer wollten mit dem Privatfernsehen dem öffentlich-rechtlichen Rotfunk – da war vor allem der WDR immer im Visier – endlich einen privatwirtschaftlichen Schwarzfunk entgegensetzen. Das war ganz klar das Kalkül. Die SPD hat ja damals beinahe den Kulturkampf ausgerufen. Aber was keiner berücksichtigt hatte: Privates Fernsehen war doch zunächst mal kommerzielles Fernsehen. Wir mussten nach Quote, nach Masse schielen, doch einem Massenpublikum schmecken politische Festlegungen nicht. Viel von dem, was heute aus Unionskreisen am Privatfernsehen bekrittelt wird, hängt auch mit dieser enttäuschten Liebe zusammen. Wir wurden eben nicht ihr Baby.

Und noch was ging voll in die Hose. Anstelle vieler konkurrierender Privatsender gibt es heute ganze zwei Großkonzerne: die zu Bertelsmann gehörende RTL-Gruppe und die von Haim Saban aufgekaufte ProSiebenSat.1-Familie. Wo wurde die Chance zu mehr Vielfalt vertan?

Beim Start war es ja sogar ein Monopol: Alle großen Medienkonzerne, Bauer, Burda, Bertelsmann, Holtzbrinck, Springer, gehörten zu den Sat.1.-Gesellschaftern, während RTL dieses Luxemburger Gebilde war. Denn die Medienpolitik hat damit gerechnet, dass sich im lokalen und regionalen Bereich viel mehr an neuen Programmen und Anbietern entwickelt. Deshalb waren ja anfangs auch 132 Zeitungsverlage Gesellschafter bei Sat.1. Die hatten sich im Verbreitungsgebiet ihrer Zeitungstitel das Anrecht erworben, Regionalfernsehen zu machen.

Offenbar keine klasse Idee?

Heute würden Sie so eine Konstruktion fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Die Rheinpfalz hat damals in einem Jahr in Ludwigshafen 30 Millionen Mark Verlust gemacht, und da begann bei den Verlegern das Aufwachen und die Erkenntnis: Vielleicht ist das mit dem Regionalfernsehen ja doch nichts.

Und wann wachte Jürgen Doetz auf?

Schon nach einem Jahr war das eigentlich klar. Sat.1 hat im ersten Jahr 800.000 Mark Werbeerlöse gehabt. Ich bitte Sie: 800.000 Mark! – und das kleckerte dann so weiter. Aber auch nachdem die ersten Zeitungen wie die Rheinpfalz wieder ausstiegen, haben noch viele Verleger gemeint, sie könnten es sicher besser machen. Da ist das Erwachen nach zwei, drei Jahren gekommen.

Hat die Werbeindustrie die Entwicklung des Privatfernsehens gesteuert, nicht die Verlage oder die Medienpolitik?

Die Medienpolitik hat noch sehr lange Träumen nachgehangen, als die Werbewirtschaft schon längst auf ihrem – aus heutiger Sicht übrigens ja völlig realistischen – Kurs war. Und irgendwoher musste doch das Geld kommen, und das war ganz sicher nicht die Medienpolitik.

Mal ehrlich – wirklich erfolgreich ist privates Fernsehen in Deutschland doch auch nicht. Wie viele von den 20 Jahren hat Sat.1 doch gleich Gewinn gemacht? Drei? Vier?

Ach, wissen Sie: Für mich ist das Privatfernsehen eine Erfolgsstory ohne Beispiel. Auch wenn das angesichts der letzten drei Jahre vielleicht etwas seltsam klingt. Sie müssen doch mehr sehen als nur die entgangenen Erlöse. Volkswirtschaftlich ist das jedenfalls eine hervorragende Bilanz: Das Privatfernsehen hat Arbeitsplätze geschaffen, für eine stabile, unabhängige TV-Produktionswirtschaft in Deutschland gesorgt.

Haben Sie als Sendergeschäftsführer eigentlich auch so was wie Lieblingshelden auf dem Bildschirm?

Ja, aber verblüffender Weise wechselte das mit der Quote. Es war mal Margarethe Schreinemakers. Dann kam die Zeit von Reinhold Beckmann und Johannes B. Kerner, bevor wir mit den beiden Entwicklungshilfe für ARD und ZDF geleistet haben. Und die letzte Station ist derzeit Harald Schmidt. Diese Marken haben nicht nur Sat.1, sondern die gesamte deutsche Fernsehlandschaft geprägt.

Sat.1 war 2003 so gut auf Kurs wie selten zuvor. Jetzt wir allseits Düsternis prophezeit.

Unter Senderchefs wie Fred Kogel und Martin Hoffmann hat der Sender seine eigenen Farben bekommen: Bei den TV-Movies. In der Comedy. Bei diesen Genres haben wir RTL deutlich abgehängt. So was ist natürlich mühsam und geht nicht auf Knopfdruck. Doch jetzt heißt es: Hoppla, wir können es schaffen.

Sat.1 kämpft derzeit mit sich selbst: Der neue Geschäftsführer Roger Schawinski will doch eher ein zweites RTL aus Sat.1 machen und die Bandbreite, in der experimentiert werden darf, einschränken.

Das ist kein programmatischer Kurswechsel, sondern damit begründet, dass in der gegenwärtigen Situation die Experimentierfreude notwendigerweise begrenzt sein muss. Zentrale Aufgabe ist nun, den Sender profitabel zu machen und die Marke Sat.1 zu erhalten. Das erlaubt eben nicht, jede spannende Produktion zu machen. Wir müssen mit angezogener Handbremse fahren. Deswegen ist ja so wichtig, dass „Das Wunder von Lengede“ kein Verlustgeschäft war. Damit steht auch das Genre TV-Event noch für die Zukunft.

Vor sechs Wochen hieß es im Sender, die Interviews zum 20. Geburtsag machen Jürgen Doetz und der inzwischen vom neuen Eigentümer Saban entlassene Senderchef Martin Hoffmann immer zusammen. Ist Ihre Trauerarbeit schon vorbei?

Es war schon immer etwas anders, wenn man ein engagierter Sat.1-Mensch ist. Und deshalb ist es doch nur konsequent, wenn wir auch weiterhin sagen: Das wichtigste ist doch, Sat.1 marschiert nach vorne.

Hängt das damit zusammen, dass Sie so etwas wie die personelle Kontinuität von Sat.1 darstellen? Sie sind von Anfang an dabei.

Wissen Sie, Sat.1 ist die Geschichte von vielen Ups and Downs. Und zu dem Sender stehen heißt eben: Man kann sich nicht aussuchen, wann man das macht. Außerdem gibt es im Hause ein paar Leute, die etwas beruhigter sind, wenn sie sehen, dass ich noch da bin.