Wireless: vom Hausbesetzer zum Mikrosklaven
: Verführerische Netzwerke

Der Werbespot ist anschaulich. Ein netter Mann läuft mit einem Notebook in der Hand auf und ab, und die Fäden seines sich langsam aufribbelnden Strickpullovers ziehen sich wie endlose Kabelverbindungen quer durch sein Wohnzimmer. Der Zuschauer begreift dank dieses Lehrfilms schnell die Vorteile einer drahtlosen Internetverbindung. Wireless LAN, kurz WLAN, nennt sich diese Technologie, die zurzeit von der Telekom mithilfe Michael Ballacks unters Volks gebracht wird.

Im Berliner Bezirk Friedrichshain hat man bereits vor über einem Jahr begonnen, solche drahtlose Netzwerke „von unten“ einzurichten. Das hatte sowohl strukturelle als auch ganz praktische Gründe. Von preiswerten Mieten und einem gewissen subkulturellen Flair angelockt, hatten sich in dem ehemaligen östlichen Arbeiterbezirk in den Neunzigern diejenigen gesammelt, denen Mitte oder Prenzlauer Berg zu schick erschien: Hausbesetzer und Studenten, Arbeitslose, Freiberufler und Künstler – Menschen also, die viel Zeit daheim verbringen und sich, ob sie sich nun als Techno-Nomaden oder Daddelfreaks sehen, eine anständige Internetverbindung wünschen.

Tatsächlich war Friedrichshain gleich nach der Wende mit den damals hochmodernen Glasfaserleitungen ausgestattet worden. Ein DSL-Anschluss jedoch braucht die guten alten Kupferkabel, und damit sind große Teile des Stadtteils, technologisch gesehen, heute auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Abhilfe verspricht die Initiative Wavelan Berlin. Man trifft sich zum gemeinschaftlichen Antennenlöten, übt sich in wortgewaltiger Opposition gegenüber den kommerziellen Providern und träumt von einem „freien, selbst organisierten Netz über der Stadt“ und einer neuen Form der Nachbarschaft, bei der man sich nicht eine Postleitzahl, sondern den access point und eine Frequenz teilt.

Spätestens mit dem Marketingfeldzug der Telekom dürfte die WLAN- Technologie auch hier einiges von ihrem anarchistischen Charme eingebüßt haben. Neben Michael Ballack ist Sportreporter Michael Steinbrecher als Werbeträger verpflichtet worden und demonstriert die eigentlichen Vorteile des drahtlosen Surfens, indem er in einer Flughafenlounge rasch noch ein paar Spielergebnisse abfragt. „Ich bekomme von der Bundesliga nie genug“, bekennt Steinbrecher. Darum darf er jetzt ununterbrochen seiner Arbeit nachgehen – genau wie der namenlose Angestellte, der sich in einem anderen verführerischen Spot mit seinem Notebook aus dem stickigen Büro in den Biergarten flüchtet und dort eine Präsentation für das Meeting am Nachmittag erstellt. Mit WLAN, das ist Botschaft, macht Arbeit endlich wieder Spaß.

Fun, anyone? Im kommenden Jahr soll die Zahl der von der Telekom betriebenen Einwahlknoten in Restaurants, Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen auf 4.000 steigen, bis Ende 2005 erwartet man 10.000 solcher so genannter Hotspots. Zusammen mit dem ebenfalls stetig steigenden Angebot der Konkurrenz dürfte damit einer flächendeckenden Versorgung nichts entgegenstehen. Der Anfang ist bereits gemacht. In Berlin bieten seit kurzem ehemalige Schluffibars wie das Morena in Kreuzberg ihren Gästen einen WLAN-Zugang an, und die Starbucks-Filialen am Hackeschen Markt und an der Friedrichstraße heißen mit freundlichen Schildern „Notebooks willkommen“. Selbst das legendäre Eiscafé Hennig, das seit mehr als 70 Jahren Schauplatz einer gepflegten Berliner Sonntagsgemütlichkeit ist, lädt neuerdings zum Surfen ein.

Das Angebot wird gerne angenommen, obwohl der Nachteil einer Technologie, die aus einem Notebook ein tragbares Büro mit ständiger Datenleitung macht, im Grunde genommen auf der Hand liegt. Man sourced sich selbst aus und wird schneller, als man denkt, vom leitenden Angestellten zum Free- bzw. E-Lancer. Der WLAN-Euphorie schaden solche Einsichten jedoch nicht, denn die romantischen Vorstellungen, die sich mit der Auflösung herkömmlicher Arbeitsstrukturen verbinden, scheinen zu überwiegen. Im flexiblen „Lebensunternehmer“ mit „Home Office“ und mobiler Flatrate verwirklicht sich die Marx’sche Utopie einer selbst bestimmten Arbeit – eine zeitgemäße Variante der in der „Deutschen Ideologie“ formulierten Utopie „morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben“.

Wer will, kann natürlich wie von Marx im Nachsatz angedacht weiterhin „nach dem Essen kritisieren“. Entscheidend ist aber, dass man dank WLAN bereits während des Essens oder bei einer schönen Tasse Kaffee ordentlich arbeiten kann. Das wird man auch im engagierten Friedrichshain über kurz oder lang zu schätzen wissen. Der Weg vom Hausbesetzer zum Mikrosklaven ist kurz. KOLJA MENSING