Das Jahr des Reises

Das Internationale Reisforschungsinstitut IRRI setzt bei der Bekämpfung des Hungers ganz auf Gentech-Pflanzen. Die Laborpflanzen sollen die grüne Revolution ablösen. Besonders engagiert ist das IRRI bei der Entwicklung des Goldenen Reises

AUS MANILA HILJA MÜLLER

Zwei Stunden Autofahrt von der philippinischen Hauptstadt Manila entfernt scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Statt der trübbraunen Dunstglocke, die permanent über dem Millionenmoloch hängt, weht in der bergigen Provinz um den Mount Makiling eine frische Brise. Kaum jemand vermutet in dieser abgelegenen Region eine weltweit einzigartige Forschungseinrichtung: Das International Rice Research Institute, kurz IRRI, ist gerüstet für das Jahr 2004, das auf Antrag der Philippinen von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nation (FAO) zum „Year of the Rice“ erklärt wurde. Geplant sind internationale Konferenzen und drei Tage der offenen Tür.

Besucher lernen bereits am Eingang, worum es im mit öffentlichen Geldern finanzierten IRRI geht: „Reisforschung für eine bessere Welt“ heißt es auf einem Schild. Seit der Gründung im Jahre 1960 arbeiten auf dem etwa 250 Hektar großen Gelände internationale Wissenschaftler an der Optimierung bekannter Reissorten. Denn „Reis ist Leben“ – das gilt für etwa drei Milliarden Menschen auf unserem Globus, obgleich es harte Arbeit und 5.000 Liter Wasser braucht, um ein Kilo Reis zu produzieren.

In Asien ist das kleine Korn dennoch Hauptnahrungsmittel. Und die Bevölkerungszahl vor allem im armen Südostasien wird Prognosen zufolge drastisch ansteigen: 2025 müssen 732 Millionen mehr Menschen als 1995 ernährt werden. Der Bedarf an Reis wird nach Angaben des IRRI auf den Philippinen um 65, in Bangladesch um 51 und in Indien um 46 Prozent. Die ärmsten Menschen in diesen Ländern geben bis zu 40 Prozent ihres Einkommens aus, um ihre Reisschüssel zweimal täglich zu füllen.

Seit der Gründung des Instituts haben die Forscher vor allem ein Ziel: „Wir wollen Reis entwickeln, der mit weniger Wasser gedeiht und dennoch höhere Erträge bringt“, sagt IRRI-Direktor Ronald P. Cantrell. In den 70er- und 80er-Jahren gelangen spektakuläre Erfolge: Der Ernteertrag pro Hektar konnte verdoppelt werden, die grüne Revolution auf dem Reissektor war geboren. An die Schattenseiten wie Monokulturen und steigende Abhängigkeit der Bauern von Saatgutlieferanten dachte in der ersten Euphorie niemand.

Neben der Forschung hat es sich das IRRI zur Aufgabe gemacht, Verwalter von kleinen Kostbarkeiten aus mittlerweile 85 Ländern zu sein. Nahezu 110.000 Reisvarianten werden in einer Genbank für die Nachwelt erhalten. Gerade ist eine Lieferung aus Nepal eingetroffen, Frauen trennen mit Holzstäbchen geschickt die schlechten von den guten Körnchen. Letztere kommen in die Kältekammern. „Bei drei Grad Celsius können wir den Reis bis zu vierzig Jahre konservieren, bei Minus 19 Grad sogar bis hundert Jahre“, erklärt IRRI-Sprecher Duncan Macintosh.

Obgleich die Reisproben feuer-, erdbeben- und taifunsicher untergebracht sind, will man auf Nummer sicher gehen. In Fort Collins (USA) lagern Duplikate in so genannten Blackboxes, deren Siegel nur von IRRI-Mitarbeitern geöffnet werden darf.

Wozu der riesige Aufwand um das winzige Korn? Duncan Macintosh lacht, zu oft hat er die Frage schon gehört. „Wir sind keine verschrobenen Reisliebhaber, die öffentliche Gelder verplempern“, versichert er. Bestes Beispiel für die Bedeutung der Genbank sei der Fall Kambodscha. Nach dem Bürgerkrieg waren die Felder verwüstet und viele der an Klima und Boden angepassten Reissorten ausgestorben. Das IRRI schickte 1988 die dringend benötigten Saatkörner in das zerstörte Land. Seit den 90er-Jahren wächst auf den „killing fields“ wieder Reis.

Derzeit hat das IRRI vor allem finanzielle Sorgen: 1993 betrug das Budget des Instituts noch 40 Millionen US-Dollar, jetzt muss es mit 25 Millionen pro Jahr auskommen. „Wir mussten die Zahl unserer Mitarbeiter von 2.400 auf 700 verringern“, klagt Instituts-Chef Cantrell.

Doch trotz knapper Kassen wächst in einem hermetisch abgeschotteten Treibhaus eine optisch unscheinbare Reispflanze, die dem IRRI internationale Schlagzeilen bringt wie einst die grüne Revolution: Der so genannte Goldene Reis lässt Emotionen nicht nur in Asien hochkochen, denn er ist genmanipuliert. Das Besondere: Im Gegensatz zu bekannten Sorten enthält der Reiskern Betacarotin, aus dem der menschliche Organismus Vitamin A gewinnen kann.

Mit Goldenem Reis, so die Befürworter, könnte dem „versteckten Hunger“, wie Experten Vitaminmangel bezeichnen, der Garaus gemacht werden. Unter dem „Deckmantel der Humanität“, so kontern Gegner, werde versucht, ein genmanipuliertes Produkt auf dem asiatischen Markt zu etablieren.

Dass Mangel an Vitamin A in armen Ländern ein Problem ist, ist unbestritten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden mehr als 100 Millionen Kinder daran. Ein Defizit mit dramatischen Folgen: Jedes Jahr erblinden 250.000 bis 500.000 Kinder, die Hälfte davon sterben innerhalb von zwölf Monaten. Auch Frauen sind betroffen, in Asien und Afrika sterben pro Jahr 600.000 Schwangere im Zusammenhang mit Vitamin-A-Mangel.

Nichts scheint also näher zu liegen, als das fehlende Vitamin in die Hauptnahrung von Milliarden Menschen einzupflanzen. Dieses ehrgeizige Ziel setzte sich der deutschstämmige Forscher Ingo Potrykus, der Anfang der 90er-Jahre mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller-Stiftung – die 1960 zusammen mit der Ford-Stiftung das IRRI gegründet hat– seine Arbeit am Technologischen Institut in Zürich begann. Jahre später gelang der Durchbruch: Zwei Gene der Osterglocke und ein Gen des Bakteriums Erwinia uredovora geben dem Goldenen Reis nicht nur seine gelbe Farbe, sondern liefern Betacarotin. Allerdings hatte Potrykus die Gene in die japanische Reissorte Tempura eingeimpft, die im tropischen Klima Südostasiens nicht gedeiht. Ein Manko, das Potrykus dazu bewegte, seine Forschung am IRRI vorantreiben zu lassen.

Zuvor musste er harte Verhandlungen mit internationalen Biotech-Unternehmen wie Monsanto und Syngenta führen, die im Besitz der Patente und Rechte auf die bei der Entwicklung von Goldenem Reis verwandten Gene und Technologien sind. Dass die „Wunderwaffe“ tatsächlich den Sprung von den Schweizer Alpen an den Fuß des Mount Makiling schaffte, ist nur einem Deal zu verdanken, über dessen Details die Öffentlichkeit im Unklaren gelassen wird.

Auch IRRI-Sprecher Macintosh mag keine konkrete Auskunft geben. Wichtig sei nur das Ergebnis der Absprache: Geplant ist, Bauern mit einem Jahreseinkommen von weniger als 10.000 US-Dollar das genmanipulierte Saatgut umsonst zu überlassen.

Umweltschützer wittern dahinter nur eines: „Der Großmut der Konzerne entspringt nur der Hoffnung, die Akzeptanz für Gentechnologie in den Industrieländern zu vergrößern und ihr Produkt in Asien zu etablieren“, ärgert sich Manny Yap von der philippinischen Gruppe Masipag. Der Zusammenschluss aus Wissenschaftlern und Farmern beobachtet das Treiben im IRRI mit großer Skepsis. Damit sind sie nicht allein. „Wir sind sehr besorgt über die möglichen Auswirkungen. Es gibt keine Garantie, dass genmanipulierter Reis nicht andere Felder mit traditionellen Sorten verunreinigt, ganz zu schweigen von den möglichen Bedrohungen für die Gesundheit der Konsumenten“, warnt die Chemikerin Len Berroya von Mother Earth, einer in Manila aktiven Umweltgruppe.

Mit einer Studie will Masipag belegen, dass Goldener Reis keineswegs eine Wunderwaffe gegen den „versteckten Hunger“ ist. Darin heißt es, der Verzehr von 300 Gramm des genmanipulierten Reises decke lediglich 20 Prozent des Tagesbedarfs eines Erwachsenen an Vitamin A „Das ist einfach lächerlich“, ärgert sich Manny Yap. „Viel wichtiger wäre es, den Armen wieder beizubringen, dass einheimisches grünblättriges Gemüse, Mangos und süße Kartoffeln billige Lieferanten von Vitamin A sind.“ Natürlich würde auch brauner Naturreis mehr Vitamine enthalten als der in Asien übliche polierte weiße Reis. Zudem bräuchte der menschliche Körper Fett etwa aus Fleisch, um das Vitamin überhaupt nutzbar zu machen – „und dafür hat ein Großteil der Bevölkerung in Südostasien kein Geld“.

Solche Vorwürfe lassen Swappan Data kalt. Der Inder, dem es am IRRI gelang, die Gene in mehrere in Südostasien populäre Reissorten einzuschleusen, ist sich sicher: „Dies ist eine der wichtigsten Entwicklungen unseres Instituts, und sie wird einen dramatischen Einfluss haben, wenn sie in drei bis vier Jahren auf die Felder kommt“. Für den Genforscher bedeuten die kleinen Reiskörner, die unter seiner Aufsicht heranreifen, die „goldene Hoffnung“ für die Armen Asiens. Der 51-Jährige hat kein Verständnis für Einwände von Umwelt- und Konsumentenschützern. „Wir tun alles, um Risiken auszuschließen, und bisher hat es keinen einzigen Fall gegeben, wo genmanipuliertes Getreide irgendeinen Schaden angerichtet hat.“

Auch der Erfinder des Goldenen Reises hat von der hitzigen Debatte offensichtlich genug. Potrykus wetterte jüngst bei einer Vortragsreihe in Australien, wenn es nach ihm ginge, „sollten die Gegner von genmanipuliertem Getreide vor Gericht gestellt werden“. Es sei unmoralisch, den Armen dieser Welt nicht mit moderner Technologie zu helfen.

So weit will IRRI-Direktor Cantrell freilich nicht gehen. Er sieht die Aufregung gelassener und lenkt das Augenmerk auf den zunehmenden Einfluss internationaler Konzerne. „Früher hatten sie am Reis kaum Interesse, vermutlich weil die Konsumenten arm sind. Doch das hat sich massiv geändert“, so der Texaner. Immer intensiver widme sich der „private sector“ dem Reis und führe mit Patentrechten ganz neue Spielregeln ein.

„Bisher gab es eine Balance zwischen privatem und öffentlichem Sektor, dieses Gleichgewicht ist gestört. Ohne wirksame Kontrolle könnte Forschung auch auf dem Reissektor bald total kommerzialisiert sein.“

Vom „Internationalen Reisjahr“ erhoffen sich die Forscher in der philippinischen Provinz daher nicht nur mehr öffentliches Interesse, sondern auch einen deutlichen finanziellen Schub. Denn, so versichert Sprecher Macintosh, am Institut gelte nach wie vor das Motto „Reisforschung für eine bessere Welt“.