Nach dem Suff gereift

Die beinharten L.A.-Stories von John Fante und seinem Sohn Dan Fante

von FRANK SCHÄFER

„Das natürliche Tageslicht war verschwunden, wurde von Milliarden Smogpartikeln ersetzt, die der einbrechenden Dunkelheit den Farbton von ablaufendem Blut in einer Spüle verliehen. Dieses riesige, überfütterte, infizierte rosa Schwein von einer Stadt, das sich über die Landschaft wälzte, so weit das Auge reichte, hustend, grunzend und alles verschlingend, was früher einmal natürlich und unberührt gewesen war“, schimpft Dan Fante in seinem soeben ins Deutsche übersetzten Roman „Chump Change“.

Diese Hassliebe auf Los Angeles hat er vermutlich von seinem Vater John Fante ins Herz gepflanzt bekommen, dem erfolgreichen Hollywood-Drehbuchautor und großen Unterschätzten der amerikanischen Literatur, der 60 Jahre früher, 1939, seinen Anti-L.-A.-Roman veröffentlicht hatte. Auch dieses Buch, „Ich – Arturo Bandini“, ist nun wieder aufgelegt worden in einer neuen guten Übersetzung von Alex Capus.

Nacheinander gelesen zeigt sich die Verwandtschaft der Autoren recht deutlich. Es ist dieser harte, unschöne, nicht drumherum redende Realismus, dem sich beide Fantes verschrieben haben, und der keinen Zweifel daran lässt, dass fast alles in diesen Texten selbst erlebt, selbst erlitten worden ist. Nur haben sich in den letzten sechs Dekaden ein paar Beschreibungstabus in Luft aufgelöst, entsprechend ist Dan Fantes Prosa deutlich schmieriger. Hier nimmt die Segnung rückläufiger Peristaltik geradezu leitmotivische Züge an, hat man sich eine gewisse Libertinage, ja, Perversion im Sexuellen auferlegt, hier wäscht man sich nicht mehr und trinkt auch, wenn man fährt. Nun geht es in „Chump Change“ ja nicht zuletzt um die ziemlich harte Säuferkarriere des Autors bzw. seines Alter Egos Bruno Dante – mit Tremor, Absenzen, Messer im Bauch. Er wird frühzeitig aus der Entziehungskur entlassen, weil sein Vater, eben jener John Fante, im Sterben liegt.

Die beiden sind sich fremd geworden in all den Jahren, und vermutlich hat der stolze, halsstarrige, auch verbitterte Alte es keinem leicht gemacht, ihn zu mögen. Seine Romane bleiben erfolglos zu Lebzeiten, und die gut dotierte Arbeit für die Filmindustrie hat er stets als Vergeudung seines Talents empfunden. Noch im Sterben zeigt er sich als eigensinniger Knochen, sein Herz macht einfach weiter, obwohl alle anderen Organe schon längst nicht mehr funktionieren. Bruno/Dan nimmt also Abschied, doch zu seinem eigenen Erstaunen empfindet er noch etwas für ihn: Liebe auch, vor allem aber Hochachtung für dessen literarische Größe. Und dass die nach seinem Ableben auf ewig verschüttet bleiben soll, macht ihn erst richtig fertig. Die probaten Drei-Liter-Flaschen Mad Dog 20-20, ein billiger Rotwein, helfen zwar eine Weile, aber das ist doch keine Lösung! Also hört er auf zu saufen und fängt wieder an zu schreiben („Chump Change“ eben!). Für seinen Vater. Damit er allen, die seine Sache gut finden, sagen kann, dass es da noch einen anderen Fante gab, der viel besser war! Das ist allzu ehrenwert und altruistisch für einen Hurensohn wie Bruno, dieser totale Gesinnungswechsel hängt etwas unmotiviert in der Luft. Aber das weiß er selber. An einer Stelle bezichtigt er sich, nur des Vaters „Temperament, und nicht sein Talent“ geerbt zu haben. Nun, das ist nicht wenig, und diese kompromisslose Rabaukendiktion weist schon mal den richtigen Weg.

Auch in „Ich – Arturo Bandini“, Fantes bedeutendstem Roman nicht nur nach Meinung seines Sohnes, beschreibt der Erzähler die Initiation eines Schriftstellers. Seine eigene! Leider hat er noch nicht viel erlebt, worüber es sich zu schreiben lohnte, schon gar nicht mit den Frauen, und das trifft so einen jungen italienischstämmigen Hengst extrem hart. Also läuft er durch die heißen Straßen der Stadt auf der Suche nach dem großen Abenteuer, aber sein katholischer Glaube macht ihm stets einen Strich durch die Rechnung. Trotz Nietzsche- und Voltaire-Lektüre, trotz seines angelesenen Atheismus also ist ihm die Frömmelei mitsamt dem Erbsünde-Dogma tief eingebrannt, was nicht wenig lusthemmend auf ihn wirkt. Schließlich lernt er Camilla Lopez kennen, verfällt ihr total, dieser bildschönen, versauten „Mexe“, die einen anderen liebt. Auch bei ihr versagt er zunächst, aber nachdem er mit der todunglücklichen, körperlich verunstalteten Vera Rivken geübt hat, klappt es doch noch. Doch ist für ihn dauerhaft kein Platz an ihrer Seite, er passt nicht zu „Camillas fiebriger, verlorener Existenz“. Sie zieht weiter, und er hat am Ende seinen ersten Roman in den Buchläden.

Bandini ist „weder Fisch noch Vogel noch ein braver roter Hering“, ein innerlich Zerrissener, ständig schwankend zwischen hedonistischer Haltlosigkeit und gottgefälligem Moralismus, zwischen machohafter Großspurigkeit und Minderwertigkeitskomplexen. Diese Widersprüche entspringen aber nur dem einen existenziellen Konflikt dieses Charakters: Bandini ist in den USA geboren und besitzt Patriotismus für zwei, aber er bleibt in den Augen der anderen doch immer das Immigrantenkind, der Amerikaner zweiter Klasse, der „Greaser“, „Dago“, „Wob“. Also will er sich als Autor in die amerikanische Literaturgeschichte einschreiben, um es allen zu zeigen – und seine Emanzipation ein für allemal zu besiegeln.

Bandini ist auf dem besten Weg dahin. John Fante hat es schließlich geschafft, aber es hat lange gedauert. Vermutlich, weil zuvor noch viele alte Amerikaner in der Sonne und im heißen Straßenstaub sterben mussten. Und Dan Fante? Der hat nun wirklich ganz andere Sorgen.

Dan Fante: „Chump Change“. Aus dem Amerikanischen von Ralf Chudoba. German Publishing AG, Braunschweig 2003,206 Seiten, 13,80 EuroJohn Fante: „Ich – Arturo Bandini“. Aus dem Amerikanischen von Alex Capus. Goldmann, München 2003, 223 Seiten, 8,90 Euro