„Gute Qualität für billiges Geld“

Eine Moskauer Ausstellung zeigt Waren aus Unternehmen des Strafvollzugs. Seit der Reform des Strafrechts werden qualifizierte Arbeitskräfte jedoch knapp

MOSKAU taz ■ Juri Tschaika ist einer der größten Arbeitgeber in Russland. Rund 850.000 Seelen nennt er seine Untergebenen, die, auf 650 Betriebe verteilt, im Jahr 2002 einen Umsatz von 400 Millionen Euro erwirtschafteten. Tschaika plagt dennoch ein akutes Problem. Er könnte noch gut und gerne 20.000 zusätzliche Arbeitskräfte unterbringen, „um die Produktionskapazitäten voll auszulasten“. Doch woher soll er sie bloß nehmen?

Russlands moderateres, weil vorsichtig reformiertes Strafrecht schiebt dem seit kurzem einen Riegel vor. Nicht jeder Hühnerdieb wird mehr zu fünf Jahren verschärftem Arbeitslager verdammt. Übrigens, Juri Tschaika ist Moskaus Justizminister und derzeit Gastgeber einer wahrlich sehenswerten Ausstellung: „Waren und Technologien aus Unternehmen des Strafvollzugswesens“, die auf dem ehemaligen „Messegelände der Errungenschaften der sozialistischen Volkswirtschaft“ in Pavillon 70 gezeigt wird.

Expansionspläne muss sich der Minister vorläufig wohl abschminken. Allerdings ist jetzt schon abzusehen, dass sich der Umsatz 2003 im Vergleich zum Vorjahr nochmals verdoppelt hat. Natürlich sind das Peanuts vor dem Hintergrund der Lagerleistungen im Kommunismus. In den milderen Sowjetzeiten erzielte Gefangenenarbeit rund sechs Milliarden Dollar jährlich.

Überhaupt sind Häftlinge und Justizwesen in Russland seit jeher die aktivsten Produktivkräfte. Die Modernisierung des Stalin’schen Sowjetstaates wäre ohne Sklavenarbeit nicht machbar gewesen. Diese Leistung monetär zu beziffern sprengt menschliche Vorstellungskraft.

Einfacher dagegen die Benennung der zwanzig Millionen Opfer Humankapital, die fünfzig Jahre danach – unter der rückeroberten Herrschaft des Geheimdienstes KGB – niemand wahrhaben will. Kurzum: Tschaika fehlen nicht nur Arbeiter, nun bleiben die qualifizierteren auch noch aus.

Wer heute eingebuchtet wird, so der Rechtsaufseher, habe schwere und sehr schwere Kapitalverbrechen begangen. „Diese Leute sind nicht gewohnt zu arbeiten und haben ihre Fertigungsfähigkeiten verloren.“ Man müsse ihnen alles wieder von vorne beibringen, klagt der Minister.

Warum eigentlich nicht? Der Strafvollzug liefe dann Gefahr, human zu werden. Das allerdings wäre wohl zu viel des Guten und könnte die nationale Identität bedrohen. Russlands Strafvollzug trägt sich nicht nur selbst, er wirft auch erklecklichen Gewinn ab. Die schuftenden Insassen erhalten indes monatlich zwischen 1 und 85 Euro.

Kein Wunder, dass um die Lager-labour force ein heißer Konkurrenzkampf entbrannt ist. Der Vizechef des Unternehmerverbandes, Alexander Kiseljow, bringt den Vorzug auf den Punkt: „Gute Qualiät für billiges Geld.“ Das mag bei vielen Produkten zutreffen. Bei der Kaviarzucht etwa auf der im japanischen Meer gelegenen Insel Sachalin, den Honigmelonen aus Krasnodar oder sibirischen Büromöbeln.

Sicherlich gilt das nicht für die ebenfalls hoch gepriesenen Sitze der russischen Airliner. Die sollen nämlich bequem sein. Die Knackis haben durchaus ihr Bestes gegeben und ihrem Verständnis von „sitzen“ Gestalt verliehen. Man kann es nicht abwarten, wieder draußen zu sein.

KLAUS-HELGE DONATH