Krieg als Dauerzustand

Der militärische Kampf gegen den Terror ist erfolglos. Trotzdem wird er weiter geführt – als Begründung für immer neue Interventionen und Aufrüstungsprogramme

Wie im Kalten Krieg sind auch heute wieder Putschgeneräle angesagte Verbündete des Westens

Die US-Regierung hat wieder einmal „Code Orange“ ausgerufen, die zweithöchste Alarmstufe. Auch in Europa wollen die Behörden in den letzten Tagen Hinweise auf neue Terrorakte bekommen haben. Zwar ist es zum Jahreswechsel nicht zu den befürchteten Anschlägen gekommen. Aber die offizielle Warnungen zeigen dennoch: Auch nach mehr als zwei Jahren des militärischen Krieges gegen den Terror ist kein Erfolg absehbar.

Der von George W. Bush im September 2001 ausgerufene Antiterrorkrieg hat nicht verhindert, dass weitere grausame Anschläge verübt wurden. Bali und Istanbul waren nur die zerstörerischsten in einer langen Serie von Terrorakten. Und es deutet einiges darauf hin, dass die kriegerische Reaktion auf die Anschläge von New York und Washington sogar eine neue Generation potenzieller Attentäter zu neuen Taten motiviert hat. Weitere Anschläge, auch in den USA oder Westeuropa, sind wahrscheinlicher geworden.

Eine Debatte darüber, ob der Ende 2001 eingeschlagene Weg richtig war, findet trotz der offensichtlichen Erfolglosigkeit des militärischen Vorgehens gegen den weltweiten Terrorismus nicht statt. Und dies gilt nicht nur für die USA, die von einem breiten Spektrum der deutschen Öffentlichkeit mit unangebrachter Arroganz betrachtet werden.

Auch in Deutschland ist bislang nicht einmal im Ansatz eine kritische Auseinandersetzung mit der Entscheidung vom November 2001 zu erkennen, an der „Operation Enduring Freedom“ teilzunehmen – obwohl sich die Bundesrepublik damit vorbehaltlos der kriegerischen Antiterrorlogik anschloss. Immer noch wird akzeptiert, dass die Beweislast nur auf der Seite der Skeptiker, keinesfalls aber bei den Befürwortern eines militärischen Vorgehens liegt.

Mittlerweile ist der so genannte Krieg gegen den Terror zu einem Dauerzustand geworden. Reflektiert wird nicht mehr. Nicht nur in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, auch in der gerade erst verabschiedeten außenpolitischen Doktrin der EU steht der Terrorismus ganz oben auf der Liste der vermeintlich militärisch zu bekämpfenden Bedrohungen. Für die Nato gilt nach wie vor der kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufene Bündnisfall. Formell ist die Allianz also weiterhin damit beschäftigt, einen akuten Angriff auf dass Territorium der Vereinigten Staaten abzuwehren.

Dieser permanente Kriegszustand setzt die politischen Rahmenbedingungen für das außenpolitische Handeln. Ähnlich wie während der Ost-West-Konfrontation und entgegen aller weltbefreienden Rhetorik verhindert der globale Antiterrorkrieg Demokratisierung, wirtschaftliche Entwicklung und die Einhaltung der Menschenrechte. Wie einst der Vorwand, kommunistische Diktaturen einzudämmen, ist es jetzt der Vorwand der Terroreindämmung, der für alles herhalten muss: Unterstützung brutaler Regime, Missachtung elementarer Menschenrechte, Waffenexport, Aufrüstung und ein gigantischer, global vernetzter Militärapparat in ständiger Alarmbereitschaft. Die so genannte Schurkendoktrin der USA, die zunächst das verloren gegangene Feindbild Sowjetunion ersetzen sollte, wurde in Europa noch mit Skepsis betrachtet. Ihre Erweiterung zum Antiterrorkampf wird dagegen kritiklos angenommen.

Wie im Kalten Krieg, der außerhalb Europas bekanntlich auch ein realer Krieg war, soll es auch dieses Mal um den Endkampf zwischen Gut und Böse gehen. Und wie im Kalten Krieg sind auch heute wieder Putschgeneräle angesagte Verbündete im vermeintlichen Kampf gegen die Feinde der Zivilisation. Pakistans Militärdiktator Pervez Musharraf, der sich für Demokratie denkbar wenig interessiert und zudem ein Atomwaffenarsenal aufbaut, wird von den USA nicht etwa zum Schurken erklärt, sondern zu einem engen Alliierten.

Gleichzeitig wird in Usbekistan ein autokratisches Regime schöngeredet, weil das Land für militärischen Nachschub nach Afghanistan gebraucht wird – auch von der Bundeswehr. Und trotz aller gegenteiligen Rhetorik werden im Nahen Osten weiterhin korrupte Regime gestützt, weil sie militärisch gebraucht werden. Auch Saudi-Arabien, Ursprungsland der meisten Attentäter und Finanziers der Anschläge auf das World Trade Center, ist weiterhin ein enger US-Verbündeter. Für den Unterhalt amerikanischer Militärbasen ist Stabilität wichtiger Demokratie – auch dann, wenn diese Stabilität diktatorisch abgesichert werden muss.

Gelegentliche Appelle, im Kampf gegen den Terror doch bitte schön die Menschenrechte nicht zu vergessen, sind deshalb naiv. Wer sich im Kampf gegen das Böse sieht, kann keine Rücksichten nehmen. Das Unterstützen von Warlords und Diktatoren war zu keinem Zeitpunkt ein Betriebsunfall. Es gehört zum System – bei Ronald Reagan in den 80er-Jahren genau so wie jetzt bei George W. Bush.

Wie lange solche militärisch motivierten Entscheidungen wirken, zeigen ausgerechnet die aktuellen Konflikte. Zur Strategie der USA und ihrer Verbündeten innerhalb des Kalten Krieges gehörte eben auch die Unterstützung eines Diktators namens Saddam Hussein im Irak. Dazu gehörte auch der Aufbau von Organisationen wie der eines Ussama Bin Laden in Afghanistan. So hat der Kalte Krieg das Fundament für die Konflikte und Kriege von heute gelegt. Der Antiterrorkrieg wird diese Rolle für die Kriege von morgen spielen.

Der Antiterrorkrieg verhindert Demokratisierung, Entwicklung und die Einhaltung der Menschenrechte

Wer sich vor zwei Jahren gegen ein kriegerisches Vorgehen gegen den Terrorismus aussprach, dem wurde vor allem unterstellt, die Gefahr terroristischer Anschläge und das Potenzial der Terrorgruppen falsch einzuschätzen. Heute, nach zwei Jahren, ist klar, dass eher diejenigen unter Realitätsverlust leiden, die den Terror weiter militärisch bekämpfen wollen. Die jüngsten Warnungen verstärken den Eindruck, dass der heutige Terror dynamisch und dezentral organisiert ist. Einen Gewaltapparat aus weit verzweigten, mitunter nur lose verknüpften Netzwerken kann – anders als eine straffe, zentralistische Organisation – nicht militärisch bekämpft, und somit auch keinesfalls besiegt werden.

Der Antiterrorkrieg bietet vor allem eine neue, pauschale Begründung für globale militärische Interventionen und Aufrüstungsprogramme – sowohl in den USA als auch in Europa. Der Bundesregierung erlaubte das neue Paradigma, den Begriff der Landesverteidigung bis zur völligen Entstellung auszuweiten. Eben deshalb wird auch weiterhin der militärische Sieg über den Terror gepredigt werden. Jeder Rückschlag, jedes Anzeichen der Erfolglosigkeit, wird auch künftig als Argument genutzt werden, um den Krieg erst recht weiter zu führen. Alarmstufe Code Orange oder gar neue große Anschläge werden die Verfechter militärischen Vorgehens kaum erschüttern. Schließlich kann ein Krieg erst verloren sein, wenn er beendet ist. Wird ein Krieg aber unbegrenzt fortgeführt, so wohl das Kalkül der Befürworter des Krieges gegen Terror, kann niemand behaupten, man hätte ihn verloren.

ERIC CHAUVISTRÉ