bundespräsident
: Höchstes Amt im rechten Maß

Die Debatte über die Neubesetzung des Bundespräsidentenamtes nimmt zusehends Züge eines öffentlichen Castings an: Deutschland sucht den Super-BuPrä. Daran wäre nichts auszusetzen, wenn über die Besetzungskriterien, also über Bedeutung und Funktion des Amtes, Klarheit bestünde. Davon sind wir weit entfernt.

KOMMENTARVON CHRISTIAN SEMLER

Unklar sind nicht seine eingegrenzten verfassungsmäßigen Befugnisse, sondern die Erwartungen an ihn. Davon ist im Grundgesetz nicht die Rede, sie werden aber von der Öffentlichkeit zunehmend mit dem Amt des Präsidenten verbunden. Es handelt sich um seine dreifache Rolle als Sinndeuter, Tröster und Fastenprediger.

Bezüglich der beiden ersten Erfordernisse hat Richard von Weizsäcker den Maßstab gesetzt, indem er uns einen weithin akzeptierten Vorschlag unterbreitete, wie wir mit Deutschlands NS-Vergangenheit auf verantwortliche Weise zu Rande kommen könnten – in der „Rede“ von 1985. Die Fastenpredigt schließlich lieferte Roman Herzog 1997 mit seiner „Ruck-Rede“ nach, die an die Pflichten des Staatsbürgers appellierte und damit der „Reform“ des Sozialstaats eine höhere moralische Weihe verlieh.

Problematisch an dieser dreifachen Erwartung ist die angemaßte Präzeptoren-Rolle: Der Präsident betreibt Volkspädagogik von oben, autoritäre Sinnvermittlung – und wir sind dankbar, dass er uns diese knappe Ressource liefert. Dabei gerät aus dem Blickfeld, dass gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse nun mal die Voraussetzung dafür sind, dass wir erkennen, wer wir sind und was wir erhoffen können.

Eigentlich verfügte Johannes Rau über alle drei genannten Rollenerfordernisse im Übermaß, doch das war gleichzeitig sein Problem. Einem lebenslangen Prediger gelingt es nicht, sein Publikum zu überrumpeln, es unerwartet beim Kragen zu packen, eine notwendige Vorbedingung für eine Karriere als Präzeptor.

Dafür ist es Rau wenigstens einmal gelungen, das Amt auf seine ursprüngliche Funktion zurückzuführen, es vernünftig zu redimensionieren. Dies geschah bei seiner Intervention nach dem absurden Theaterstück namens Bundesratsabstimmung zum Zuwanderungsgesetz. Ruhig, bestimmt, die Verfassungsnorm im Auge, mehr nicht. Darüber hielt er anschließend eine große Rede. Vielleicht wäre ein neuer Präsident leichter zu finden, wenn künftig sie als Vorbild diente.