Globalisierungskritik mit neuem Akzent

Zu ihrem Weltgipfel trifft sich die Bewegung erstmals in der indischen Armuts- und Finanzmetropole Bombay. Ein neuer Debatten-Schwerpunkt entsteht: Rassismus. Radikale Gruppen aus Indien kritisieren die grüne Heinrich Böll Stiftung

AUS PUNE RAINER HÖRIG

Zum weltweiten Gipfel der Globalisierungsgegner in der indischen Hafenstadt Bombay – offiziell „Mumbai“ – erwarten die Veranstalter rund 75.000 Teilnehmer. Vom 16. bis 21. Januar findet in der Armuts- und Finanzmetropole das Weltsozialforum (WSF) statt, ein Riesenkongress mit 1.000 Einzelveranstaltungen, bei dem sich die globalisierungskritische Bewegung über ihre Ziele, Aktionen und Utopien verständigen will.

Im Vergleich zu den bisherigen Weltsozialforen, die sämtlich im brasilianischen Porto Alegre stattgefunden haben, steht in Bombay ein neuer Schwerpunkt auf der Tagesordnung. Neben den traditionellen Themen wie der Kritik an der Welthandelsorganisation WTO und den sozialen Folgen der neoliberalen Globalisierung wurden zwei große Veranstaltungen anberaumt, die sich mit religiösem und ethnischem Rassismus beschäftigen – unter anderem ein Reflex der Konflikte auf dem indischen Subkontinent.

Seit Wochen finden überall in Indien, wie auch in anderen Teilen der Welt, vorbereitende Foren statt, die Resolutionen verfassen und Strategien entwickeln. Hunderte von Nichtregierungsorganisationen (NGO) tragen die so genannte India Working Group, die für das WSF verantwortliche Dachorganisation. Die indische Zivilgesellschaft, unterstützt von zahlreichen internationalen Geberorganisationen, trägt auch die Kosten für die Infrastruktur des Spektakels, die bislang auf 100 Millionen Rupien, etwa zwei Millionen Euro, beziffert werden.

In Indien floriert die vielleicht größte Bürgerbewegung der Welt. Schätzungsweise 100.000 große und kleine NGO arbeiten überall im Lande in Projekten zur Dorfentwicklung, helfen Frauen, Dalits und Adivasi (Indigenen) bei der Durchsetzung ihrer Rechte, kämpfen gegen Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen. Die Protestbewegung gegen die Staudämme am Narmada-Fluss, die vielschichtige Frauenbewegung und die schlagkräftige Organisation traditioneller Fischer sind auch über die Grenzen des Landes hinaus bekannt geworden. Die meisten Aktivisten fühlen sich den Idealen Mahatma Gandhis verpflichtet: kleinräumiges, autarkes Wirtschaften in solidarischen Dorfgemeinschaften, soziale Gerechtigkeit und Harmonie mit der Natur – die Kernpunkte der Globalisierungskritik.

Auch eine Opposition leistet sich das Forum: Mehr als einhundert linksradikale Gruppen haben sich zum „aktionsorientierten“ Parallelforum „Mumbai Resistance 2004“ zusammengeschlossen, das in eine Anti-Kriegs-Demo zum amerikanischen Konsulat münden soll. Ideologische Grabenkämpfe hat im Vorfeld eine Klausel in der WSF-Charter verursacht, die bewaffnete Widerstandsgruppen von der Teilnahme am WSF ausschließt. Davon betroffen sind maoistische Guerillagruppen in Indien, Nepal, den Philippinen und in Lateinamerika. Die rund 250 im „Mumbai Resistance 2004“ zusammengeschlossenen Gruppen, hauptsächlich Spaltprodukte der bewaffneten Agraropposition der Naxaliten, werfen dem WSF vor, die direkte Konfrontation mit den Herrschenden zu scheuen. Das Widerstandsforum will an die globalisierungskritischen Demonstrationen von Seattle, Prag und Genua anknüpfen, wo es zum Teil zu heftigen Straßenschlachten mit der Polizei kam. Die Militanten grenzen sich von den Sponsoren des WSF ab, zu denen „Handlanger des Imperialismus“ wie die amerikanische Ford Foundation und die deutsche Heinrich Böll Stiftung gehörten. „Mumbai Resistance 2004 stimmt mit unseren Zielen prinzipiell überein, es ist ein Teil des WSF“, wiegelt dagegen Indiens Böll-Chef Mukul Sharma ab: „Die Stärke des Forums ist gerade seine Vielfalt.“

Der Name „Bombay“ ruft orientalische Romantik, aber auch moderne Albträume wach. Hier schlägt das Herz einer Nation von einer Milliarde Menschen. Die Stadt rühmt sich der wichtigsten Börse und des größten Flughafens des Landes. Im Geschäftszentrum am Nariman Point residieren weltweit operierende Banken und Konzerne, unter ihnen auch viele deutsche Firmen. Indiens größte und wohlhabendste Stadt ist so groß wie Berlin, beherbergt jedoch 15 Millionen Menschen.www.wsfindia.org www.mumbairesistance.org